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Bundesregierung sucht Kontakt zum Kommando der Roten Armee FraktionIn geheimer Mission für eine politische Lösung

■ Noch vor dem Abbruch des Hungerstreiks der RAF-Gefangenen 1989 hat die Bonner Regierung beschlossen, den direkten Kontakt zur Kommandoebene zu suchen, um sie auf ein Stillhalteabkommen zu verpflichten. Im Gegenzug sollten die Inhaftierten zusammengelegt werden. Sogar noch nach den Attentaten auf Alfred Herrhausen und Hans Neusel war Bonn bereit, mit den Aktiven „über alles“ zu reden. Die RAF ihrerseits verlangt als Vorbedingung die Zusammenlegung.

VON GERD ROSENKRANZ

Geschlagene zwei Monate hatte sich die Bundesregierung praktisch totgestellt. Dann, Anfang April 1989, als sich der Zustand der hungerstreikenden RAF-Gefangenen Christa Eckes und Karl-Heinz Dellwo dramatisch verschlechterte, realisierte auch Helmut Kohl, daß der Hungertod eines oder mehrerer Häftlinge unabsehbare Folgen haben würde. Es drohte ein gewaltiger Verlust an Glaubwürdigkeit im liberalen und kirchlichen Spektrum der Bevölkerung. Und es drohten vor allem neue Anschläge der RAF. Während die Politiker der Bonner Koalition in der Öffentlichkeit die „Der-Staat-läßt-sich-nicht- erpressen-Gebetsmühle“ ungebremst weitergedrehten, nahm im Kanzleramt unter höchster Geheimhaltung eine Initiative ihren Anfang, die diesem Regierungschef und dieser Regierung wohl niemand im Lande zugetraut hätte: Das Bundeskabinett beschloß, den direkten Draht zur sogenannten Kommandoebene der RAF zu suchen, um die Metropolen-Guerilla auf eine Art Stillhalteabkommen zu verpflichten. Im Gegenzug dazu sollte der Forderung der hungerstreikenden Gefangenen, sie in ein oder zwei größeren Gruppen zusammenzulegen, weitgehend entsprochen werden.

Doch damit nicht genug: Aus dem ersten Versuch, der schon aus Zeitmangel zwangsläufig im Nichts endete, entwickelte sich ein umfassendes Verhandlungsangebot an die RAF-Aktiven. Reden wollte man „über alles“, die Zusammenlegung der inhaftierten Genossen, Lebensperspektiven für Gefangene wie Aktive und — natürlich — das Ende der bewaffneten Auseinandersetzung.

Nach dem Kabinettsbeschluß im April 1989 erhielten die Staatssekretäre im Innenministerium Hans Neusel und Carl-Dieter Spranger den Auftrag, den schwierigen Kontakt möglichst rasch einzufädeln. Eingeweiht waren auch das Justizministerium (Staatssekretär Klaus Kinkel), die Spitzen von Bundeskriminalamt und Bundesanwaltschaft und — praktisch als „ausführende Fachinstanz“ — das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in Köln.

Das damalige „Nahziel“ der Aktion überrascht mehr noch als die Initiative an sich: Die aktiven Kämpfer der RAF sollten sich verpflichten, nach einer Zusammenlegung der inhaftierten Genossen auf jede Befreiungsaktion zu verzichten. Offenbar steckte den Regierenden noch immer jener (allerdings frühzeitig gescheiterte) Versuch von 1978 in den Gliedern, als der RAF-Gefangene Stefan Wisniewski per Hubschrauber aus der Justizvollzugsanstalt Frankenthal ausgeflogen werden sollte.

Die praktische Umsetzung des Kabinettsbeschlusses erwies sich indes als noch schwieriger als angenommen. Erstens: Wo mochte sich eine Kommandogruppe aufhalten, von der damals manche glaubten, daß sie als feste Formation gar nicht mehr existierte? Zweitens: Wer sollte den Kontakt herstellen und würde von beiden Seiten als vertrauenswürdig akzeptiert? Drittens: In welcher Form könnte eine RAF-Einheit überhaupt in die „Friedenspflicht“ genommen werden? Man entschied sich für ein Verfahren, das der Verfassungsschutz schon Jahre vor dem Hungerstreik vorexerziert hatte, als er ausgestiegenen RAF- Mitgliedern Möglichkeiten für ihre Rückkehr in die Bundesrepublik aufzeigen wollte. Ehemalige RAF-Anwälte wurden angesprochen, die ihrerseits nach geeigneten Kurieren Ausschau halten sollten. Sendboten dieser Art waren seit Mitte der achtziger Jahre ausgeschwärmt, um den im Ausland vermuteten ehemaligen RAF-Mitgliedern den Kontakt zum Bundesamt für Verfassungsschutz (Aussteiger-Telefon: 0221/511395) ans Herz zu legen und sie über Perspektiven ihrer Rückkehr in die Legalität aufzuklären. VS-Chef Gerhard Boeden hat die für derlei kitzelige Missionen in Frage kommenden Kontaktleute in einer Publikation einmal beschrieben als „Personen, die dem Verfassungsschutz zwar ansonsten kritisch gegenüberstehen, aber aus humanitären Gründen und wegen ihrer ablehnenden Haltung gegenüber dem Terrorismus bereit sind, die Aussteiger zu vertreten“. Im Unterschied zur „Aussteigerinitiative“ von 1987 legten und legen die Beteiligten jetzt Wert auf den politischen Charakter der Mission im Auftrag der Bundesregierung.

Die aktiven RAF-Kämpfer waren von ihren gefangenen Genossen im Frühjahr 1989 für die Dauer des Hungerstreiks auf „Stillhalten“ eingeschworen. Und so hatte, wie gesagt, niemand im Sicherheitsapparat auch nur die leiseste Ahnung, wo sie sich aufhalten mochten — irgendwo im Nahen Osten, in Europa oder gar in der Bundesrepublik. Einigkeit bestand jedoch, daß ein Kontakt am ehesten über palästinensische Zwischenstationen — im Jargon von Staatsschutzbeamten wie RAF-Aktiven: die „P's“ — im Nahen Osten zustande kommen könnte. Zum Teil dieselben Kontaktpersonen, die sich bereits vor dem Hungerstreik um Verbindungen zu den Aussteigern bemüht hatten, wurden nun noch einmal um ihre Unterstützung gebeten (Die große Mehrzahl der RAF-Abtrünnigen allerdings befand sich, wie man heute weiß, nicht im Nahen, sondern im ganz nahen Osten).

Volle Rückendeckung von der Bundesregierung

Schon wenige Tage nach dem Beschluß der Bonner Kabinettsrunde flog ein exzellenter Kenner der komplexen palästinensischen Zusammenhänge in die Region, unter anderem nach Damaskus. Im Gepäck hatte er eine Nachricht, in der den RAF-Kämpfern in verklausulierter Form das Annäherungsbegehren der Bonner Regierung mitgeteilt wurde. Praktisch stellten sich die Initiatoren des Plans den Ablauf so vor: Ein ausgewiesenes Mitglied der RAF-Kommandoebene sollte sich telefonisch im Kölner Amt melden und sich mit der „richtigen“ Antwort auf eine nur von ihm oder ihr beantwortbaren Frage des zuständigen Beamten „legitimieren“. Dann sollte die Verpflichtung zum Verzicht auf bewaffnete Befreiungsaktionen auf Band gesprochen werden. Daraufhin hätten die politisch Verantwortlichen die Zusammenlegung der hungerstreikenden Gefangenen in größere Gruppen veranlaßt. Der gewünschte Kontakt kam bis zum Abbruch des Hungerstreiks am 12. Mai 1989 nicht mehr zustande, obwohl der Kurier noch mehrfach unterwegs war.

Damit hätte die Geschichte zu Ende sein können. Doch offenbar wollten die Staatsschützer, die zu jener Zeit ebenso wie Teile der Öffentlichkeit glaubten, die aktiven RAF- Kader seien nicht mehr unbedingt auf den bewaffneten Kampf abonniert, nicht gleich aufgeben. Letztlich mag auch die anhaltende Erfolglosigkeit aller Fahndungsanstrengungen zum Weitermachen beigetragen haben; den letzten Fingerabdruck von RAF- Aktivisten stellte der Ermittlungsapparat 1981 sicher.

Von der Bundesregierung holte man sich die volle politische Rückendeckung für die Fortsetzung der Initiative in modifizierter — und erweiterter — Form. Danach sollte aktiven RAF-Kämpfern nun ein Vorschlag unterbreitet werden, der auf frappierende Weise dem ähnelt, was die Honecker-DDR ein Jahrzehnt lang praktiziert hat — und was dem Stasi- Staat in diesem Sommer mit dem Gestus größter Empörung zum Vorwurf gemacht wurde: Von Verfassungsschutz-Chef Boeden selbst stammte die Vorstellung, aktiven RAF-Kämpfern, unabhängig von der Schwere ihrer Straftaten, dreierlei anzubieten: 1. Exil in einem Drittland, 2. eine neue Identität und, wo nötig, 3. die finanzielle Ausstattung für einen Neuanfang.

Bei den Palästinensern — vorrangig involviert ist die „Volksfront für die Befreiung Palästinas“ — stieß und stößt die Gesprächsinitiative der Bundesregierung auf offene Ohren. Man hält Verhandlungen über ein für alle Seiten akzeptables Ende des bewaffneten Kampfes angesichts der Aussichtslosigkeit dieses „Privatkrieges“ in der Bundesrepublik für sinnvoll. Verwundern kann das kaum, haben doch dieselben Palästinenser-Organisationen seinerzeit schon ihren Anteil an der Unterbringung ehemaliger RAF-Kämpfer in der DDR gehabt. Palästinensische Zwischenkuriere beförderten die Bonner Botschaften jetzt an jene „Schnittstellen“ in einer Reihe von Nahost-Staaten, wo sich die Wege unterschiedlichster Guerilla-Trupps oder einzelner Aktivisten aus verschiedenen — auch europäischen — Ländern kreuzen. Schließlich erreichte die Nachricht von der Verhandlungsbereitschaft der Bundesregierung nach Überzeugung der Übermittler auch die RAF-Kommandoebene. Die Antwort allerdings ließ auf sich warten — bis das Attentat auf Bankchef Alfred Herrhausen eine (scheinbar) völlig neue Situation schuf.

Alle denkbaren deeskalierenden Schritte schienen mit einem Schlag aus der Welt gebombt. Tatsächlich geriet der Verfassungsschutz — namentlich der für die praktische Umsetzung der Gesprächsinitiative zuständige Beamte mit dem Decknamen „Hans Benz“ — ebenso unter politischen Druck wie die Minderheit der Befürworter der Aktion in der Bundesanwaltschaft und die Drahtzieher im Innenministerium. Der Vorwurf der Law-and-Order- Propagandisten, angeführt vom damaligen Generalbundesanwalt Kurt Rebmann: Mit ihrem Schmusekurs gegenüber Gefangenen und RAF- Aktiven hätten die „Verhandler“ eine „Einschläferungstaktik“ gefahren und seien selbst erst vom großen Knall von Bad Homburg wieder aufgeweckt worden. Die Chancen für eine auch nur schrittweise Konzentration der Gefangenen in wenigen Knästen waren nach dem Herrhausen-Mord „am Nullpunkt“, erinnert sich ein Beteiligter.

Die Fronten scheinen verhärtet wie eh und je

Umso überraschender mutet es im nachhinein an, daß die Dialog-Befürworter von der politischen Bühne noch einmal grünes Licht zur Fortsetzung ihrer Sondierungsbemühungen im Nahen Osten erhielten. Die Weichen stellte — so jedenfalls die Version aus Kreisen des Kölner Amtes — vor allem der Staatssekretär im Bonner Innenministerium Hans Neusel. Gedankt wurde es ihm nicht, wie seit dem 27. Juli 1990 allgemein bekannt ist: An diesem Tag wurde Neusel um ein Haar selbst Opfer der RAF. Im Bekennerschreiben des Kommandos „José Manuel Sevillano“ vom 29. Juli, das die Zusammenlegung der RAF-Häftlinge als zentrales Ziel des Attentats benennt, heißt es: „Solange die harte Haltung der Regierung nicht durch den Kampf der Gefangenen [...] gebrochen ist, solange ist Neusel Teil der Fraktion, die über Leichen unserer Genossinnen und Genossen gehen will.“ Trotz des Attentats auf Neusel setzte die Regierung die Kontaktaufnahmeversuche fort.

Wenigstens einige der RAF-Gefangenen in den bundesdeutschen Knästen waren über die staatlichen Annäherungsversuche von Anfang an, das heißt schon während des Hungerstreiks, unterrichtet. Inwieweit sie die Bemühungen in ihren verschiedenen Phasen befürworteten, sie geschehen ließen oder sie ablehnten, ist mit letzter Sicherheit nicht festzustellen. Explizite öffentliche Äußerungen zum Thema gibt es nicht. Kein Zweifel besteht jedoch, daß einige das Unternehmen aus ihren Zellen von Anfang an mit großem Mißtrauen verfolgten und lediglich als neue Variante der staatlichen Anti-Terror-Konzeption verstehen wollten. Wobei diese Bewertung letztlich natürlich für jede staatliche Initiative in diesem Zusammenhang zutrifft. In einem Zellenkassiber aus der Zeit nach dem Hungerstreik heißt es: „zu dem ganzen gehört doch, daß ungefähr im september ,benz‘ vom vs [Verfassungsschutz, d.Red.] (der vor drei jahren das ,angebot des jahres‘ im 'pflasterstrand‘ gemacht hat) bei einem anwalt von uns ankam, wir sollten der ,kommandoebene‘, die im nahen osten sitzt, im eimer ist und nicht mehr weiter weiß, ein paar sätze schreiben, daß wir nichts dagegen haben, wenn sie aufhören. Dann wäre auch das problem mit den gefangenen vom tisch.“ Das gleiche „Signal“ sei kurz darauf auch von der Bundeswanwaltschaft an sie herangetragen worden, heißt es in dem Kassiber weiter. Beide erwähnte Treffen haben die Staatsschutzbehörden gegenüber der taz bestätigt.

Im Spätsommer dieses Jahres unternahmen die staatlich beauftragten Kontaktvermittler einen neuen Anlauf. In einem Schreiben an die RAF- Adressaten („to whom it may concern“) wurden diese nochmals dringend aufgefordert, sich trotz der veränderten Ausgangssituation (nach den Anschlägen gegen Herrhausen und Neusel und den Festnahmen in der DDR) zu melden. Jede bewaffnete Auseinandersetzung münde irgendwann in Verhandlungen, hieß es in dem Schreiben, dessen Gegenstand für mögliche uneingeweihte Leser nur schwer zu entschlüsseln war. Außerdem baten die Staatskuriere um ein Zeichen, das sie gegenüber den eingeweihten Gefangenen als authentische Nachrichtenübermittler der Kommandoebene legitimieren sollte. Diese Gesprächslegitimation sollte dann über einen der Anwälte an die Gefangenen weitervermittelt werden. Die Antwort auf den eine DIN A4 Seite umfassenden Brief ließ auf sich warten. Sie fiel, als sie vor einigen Wochen wiederum im Nahen Osten abgeholt werden konnte, ebenso negativ wie eindeutig aus. „Keine Gespräche“, hieß es kurz und bündig, solange die Zusammenlegung der Gefangenen nicht realisiert ist.

„Das Grundprinzip“, beteuerte vor wenigen Tagen einer der Beteiligten gegenüber der taz, „das Grundprinzip der ganzen Aktion war es, für beide Seiten — oder wenn man die Gefangenen gesondert dazuzählt, für alle drei Seiten — eine offene Situation zu schaffen, in der über alles verhandelt werden konnte — oder auch nicht.“ Dies habe man bis jetzt durchgehalten.

Ein vorläufiges Ergebnis liegt nun vor. Die aktive RAF verlangt die Zusammenlegung der Gefangenen als notwendige Voraussetzung für Verhandlungen. Diese Position ist im übrigen praktisch deckungsgleich mit einer Äußerung der Gefangenen Eva Haule aus jüngster Zeit. Unter dem Datum vom 23. September schrieb Haule, eine der WortführerInnen der Gefangenen: „Die Vernichtungsstrategie gegen uns Gefangene [gemeint ist die Isolation von anderen Mitgliedern der Gruppe, d.Red.] bleibt objektiv eine Verpflichtung, den Kampf auch bewaffnet zu führen. Das ist überall auf der Welt so, wo es politische Gefangene und Guerillakampf gibt.“

Damit wäre die Bundesregierung am Zug, mit der Zusammenlegung — wenigstens versuchsweise — ernst zu machen. Momentan allerdings deutet wenig darauf hin. Eine Initiative des Hamburger Verfassungsschutzchefs Christian Lochte zur Zusammenlegung (die er in einem Interview in der taz vom 18.8.1990 begründete) wurde schon vor einiger Zeit still und leise auf Eis gelegt. Die Fronten scheinen verhärtet wie eh und je: Die Gefangenen warten auf die Zusammenlegung — und die Politiker auf den nächsten Anschlag.

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