Bundesliga-Nordderby in Hannover: Die Lunte brennt
In einem hochklassigen Spiel besiegt Hannover 96 die Konkurrenz aus Bremen mit 3:2. Hannover profitiert von seiner Effektivität, Werder überzeugt durch Leidenschaft.
HANNOVER taz | Eine oft gehörte Floskel besagt, dass wir gerade Zeuge eines Fußballspieles waren, dessen Drehbuch von Alfred Hitchcock geschrieben worden sein könnte. Diesmal trifft sie tatsächlich zu. Obwohl man das Ende kennt, kann man sich die Partie Hannover 96 gegen Werder Bremen ohne Weiteres auch ein zweites Mal angucken – wie „Psycho“ oder „Die Vögel“. Es enthält das, was Hitchcock Suspense nennt und wonach eine Explosion nur dann spannend ist, „wenn der Zuschauer die Lunte lange brennen sieht und die Figuren nichts davon ahnen“.
Im Minutentakt stürmt Werder Bremen ab der 74. Minute auf das Hannoveraner Tor zu. Gerade ist der Bremer Ausgleichstreffer zum 2:2 durch Kevin de Bruyne gefallen. Nahezu jeder Zweikampf im Mittelfeld geht an die bissigeren und gedankenschnelleren Grün-Weißen, mehrfach stehen deren Stürmer einschussbereit vor Hannovers Torwart Ron-Robert Zieler. Zweimal liegt der Ball tatsächlich im Tor, doch die Treffer von Sokratis und Assani Lukimya werden wegen Abseits bzw. Foulspiels nicht gegeben.
In der Nachspielzeit bleiben den Bremern 30 Sekunden für einen letzten Angriff. Der überragende Aaron Hunt führt den Ball arglos Richtung Strafraum, doch Hannovers Szabolcs Huszti angelt sich die Kugel, leitet den Gegenangriff ein, sprintet nach vorn, steht mit dem Rücken vorm Tor und benutzt den Rücken des ausrutschenden Bremer Verteidigers Clemens Fritz als Bande für einen unhaltbaren Fallrückzieher: Die Bombe ist in allerletzter Sekunde hoch gegangen. Die Zuschauer ahnten schon lange, was kommt, doch die Bremer stürmten weiter, als wenn ihnen nichts passieren könnte.
Die Explosion reißt die 96-Fans und den Torschützen zu solcher Begeisterung hin, dass Huszti zwei gelbe Karten, in der Summe also eine rote, innerhalb von zwei Sekunden sieht: die erste fürs Trikot-Ausziehen, die zweite für das Erklimmen des Zauns. Schiedsrichter Deniz Aytekin erweist sich als humorloser Vollstrecker Fußball-bürokratischer Regelungswut. Die Bremer haben nichts mehr davon, liegen auf dem Boden wie kurz vor der Ziellinie abgefangene Marathonläufer.
„Was für ein Spiel!“ Bremens Trainer Thomas Schaaf spricht nachher mehr wie ein Fan als wie ein Verlierer. „Leidenschaft, Faszination, Begeisterung“ hat er gesehen, auch wenn wieder einmal, wie schon in Dortmund, eine ungerechte Niederlage dabei herauskam. „Ich bin traurig“, gibt er zwar zu, tröstet sich aber mit der „Art und Weise, wie die Mannschaft nach dem 0:2 weitergemacht hat“.
Zunächst bewiesen allerdings die 96er, warum sie seit zwei Jahren die Nummer eins im Norden sind. Gut organisiert und gnadenlos effektiv nahmen sie Werders umgestellte Defensive, wo Lukumiya und Philipp Bargfrede die angeschlagenen Sebastian Prödl und Zlatko Junozovic ersetzten, auseinander. Die Tore fielen durch einen Freistoß von Huszti (6.) und einen Kopfball von Leon Andreasen (10.).
Doch mit Aaron Hunts Anschlusstreffer durch einen Handelfmeter in der 26. Minute wendete sich das Geschehen. Werders Mittelfeld mit Hunt, de Bruye, Eljero Elia und Marko Arnautovic baute von Minute zu Minute mehr Druck auf.
„Nur das Glück hat uns gefehlt“, sagte Bremens Arnautovic später und drohte der Konkurrenz: „Das werden wir uns erarbeiten und dann wird es schrecklich für die Gegner.“ Bis es soweit ist, müssen die Bremer allerdings lernen, ihr hohes spielerisches Potenzial zielgerichteter und klüger einzusetzen, als sie es in der Schlussphase taten.
Wie man das Optimale aus seinen Möglichkeiten macht, haben einmal mehr die Hannoveraner vorgemacht. Jahr für Jahr wartet die Konkurrenz auf den Einbruch der Dauer-Überraschungsmannschaft. Jetzt steht sie nach drei Spieltagen wieder auf Platz zwei der Tabelle. Auch, weil Teilzeit-Manager Jörg Schmadtke, der nach dreimonatigem Familienurlaub wieder dabei war, mit Huszti wieder eine absolute Verstärkung an Land gezogen hat.
Der Kampf um den Status der Nummer eins im Norden dürfte in dieser Saison genauso lange offen bleiben wie dieses Spiel. Klar scheint nur zu sein, dass die norddeutsche Nummer eins wieder einmal nicht aus Wolfsburg oder Hamburg kommt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten