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Bulgarien spielt russisches Roulett

■ Der Atomreaktor Kosloduj I ist trotz aller Warnungen der Internationalen Atomenergieorganisation wieder in Betrieb

Paris/Köln – Die bulgarische Regierung fürchtet den Strommangel im Winter offenbar mehr als die Gefahr einer zweiten Tschernobylkatatsophe. Seit Mittwoch ist im Atomkomplex Kosloduj der Reaktor trotz aller Warnungen westlicher Experten wieder in Betrieb.

Keine panischen Umweltschützer, sondern das staatliche französische Institut für den Schutz und die Sicherheit von Atomanlagen (IPSN) verbreitete diese Nachricht am Donnerstag abend.

Noch Anfang der Woche war nur die Rede davon gewesen, daß die bulgrische Regierung plane, den russischen Reaktor mit seinen 440 Megawatt Leistung wieder in Betrieb zu nehmen. 1991 war er unter anderem auf Drängen der Interantionalen Atomenergieorganisation (IAEO) vorübergehend stillgelegt worden. Später ging er wieder ans Netz, der Betrieb ist aber vor acht Monaten erneut für Sicherheitsuntersuchungen unterbrochen worden, die eigentlich noch bis zum Frühjahr andauern sollten.

Am Dienstag dieser Woche hatte in Sofia ein Expertengespräch mit Vertretern der IAEO stattgefunden. Angeblich, ließ die bulgarische Regierung danach verlauten, hätten die internationalen Kontrolleure dabei dem Wiederanfahren des Reaktors zugestimmt. Der Betrieb solle lediglich auf die Wintermonate beschränkt werden.

Das ist zumindest eigenwillige Interpretation. Die IAEO selbst teilte in Wien nur mit, Bulgarien habe sich in dem Gespräch zu verstärkten Kontrollen und zusätzlichen Schulungen für das Bedienungspersonal verpflichtet. Das Land verzichtete aber auf eine „eigene Einschätzung der Sicherheitslage“. Beim Gedanken an diesen sowjetischen Atomveteranen wird aber selbst harten Atomkraftbefürwortern im Westen schummrig vor den Augen. Völlig unklar ist unter anderem, ob der stark versprödete Reaktorbehälter der Belastung eines möglichen Störfalls standhält. Falls er auseinanderbricht, würde das gesamte radioaktive Arsenal des Kerns freigesetzt.

Das französisch IPSN und auch die deutsche Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GSR) erklärten am Donnerstag abend deshalb ausdrücklich, daß bei dem Expertengespräch in Sofia keinesweges eine Einigung erzielt worden sei. Unter den Bedingungen, die Bulgarien nennt, sei der Betrieb des Reaktors vielmehr „sicherheitstechnisch nicht zu rechtfertigen“. Bezüglich der Sicherheitslage hätten sich nämlich „überhaupt keine neuen Erkenntnisse ergeben“. Es bestehe deshalb die akute Gefahr eines schweren Atomunfalls.

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