Bürgermeister-Wahl in Freiburg: Der Mann der anderen Seite
Der Grüne Dieter Salomon wurde 2002 von einer grün-rot-roten Mehrheit zum Oberbürgermeister von Freiburg gewählt. Nun will er wiedergewählt werden - gegen SPD und Linkspartei.
Herr Gröger wendet sich an den Mann zu seiner Rechten: "Sie kandidieren als Grüner?" Gelächter im Saal.
Oberbürgermeister Dieter Salomon lächelt ernst. "Ja, meine Partei unterstützt mich."
Wann: 25. April
Amtsinhaber: Dieter Salomon (Die Grünen)
Herausforderer: Ulrich von Kirchbach (Kulturbürgermeister, SPD), Günter Rausch (Professor, "Wechsel im Rathaus") Wahl 2002 (2. Wahlgang): Salomon 64,4 Prozent, Heute-Bluhm (CDU, 34,5 Prozent)
Kommunalwahl 2009: Grüne 23,9 Prozent, CDU 20,7, FDP 8,1, Linke 7,8, Freie Wähler 6
Freiburger Schulden: 286 Mio. Euro
Arbeitslosenquote: 6,5 Prozent (BaWü: 5,5 Prozent)
Wahlkampfveranstaltung im Freiburger Konzerthaus mit den drei Kandidaten für das Amt des Oberbürgermeisters. Herr Gröger ist als Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler Gastgeber des Abends. Seine Frau habe ihm aufgetragen, ein Witzchen zur Auflockerung zu machen. Allerdings lacht kaum einer der etwa 500 Zuhörer. Später wird Salomon bissig gefragt, ob die CDU seine Wiederwahl am 25. April denn nicht auch unterstütze.
"Mir wäre völlig neu, dass die CDU mich unterstützt", sagt der OB. Gemurmel im Saal.
Salomon war Fraktionsvorsitzender der Grünen im Stuttgarter Landtag, bevor er 2002 die Wahl in Freiburg gewann. Seither ist er der erste und einzige Grünenpolitiker, der eine Stadt dieser Größe (220.000 Einwohner) regiert. Die Grünen sind in Freiburg inzwischen die führende Volkspartei. Seine absolute Mehrheit kam damals zustande, weil zu den grünen Wählern im zweiten Wahlgang noch SPD- und Linke-Wähler dazukamen, denen er lieber war als die CDU-Kandidatin.
Inzwischen haben sich die Lager in Freiburg neu formiert. Salomon regiert mit einer grün-schwarzen Gemeinderatsmehrheit inklusive der Freien Wähler. SPD und Linke sind in der Salomon-Opposition. Das ist so, seit der OB 2006 mit seinem CDU-Finanzbürgermeister Otto Neideck den Deal ausheckte, zum Zwecke der Haushaltssanierung die städtischen Wohnungen zu verkaufen - und von einem Bürgerentscheid gestoppt wurde. Spätestens seither gilt Salomon in Teilen der Bürgerschaft als Neoliberaler und Mann der anderen Seite.
Die SPD, vor Salomon 40 Jahre an der Macht, hat ihren Kultur- und Sozialbürgermeister Ulrich von Kirchbach losgeschickt, um das Amt zurückzugewinnen. Der Jurist hat den geplanten Wohnungsverkauf als "dümmste Entscheidung seit dem Turmbau von Babel" bezeichnet. Das zeigt, dass er Freiburg so wichtig nimmt, wie man das in Freiburg erwartet. Seine Strategie wird im Konzerthaus schnell klar: Der gescheiterte Stadtbauverkauf soll der Sündenfall sein, der die Notwendigkeit eines Wechsels hin zu einem sozialeren und partizipativeren Modell belegt. In der Deutung von SPD und Linker ist Salomon ein saturierter Machtpolitiker, der Politik für eine elitäre Clique macht. Und dazu noch ein arroganter Schnösel, der seine Gemeinderäte auch gern mal abkanzelt. Stimmt gar nicht, sagt Salomon. "Ich pflege ein gutes Miteinander."
Das bringt ihm einen mittleren Lacher ein. Ansonsten ist er auf der Hut. Ja nicht schnöselig wirken. Und sich auf keinen Fall provozieren lassen. Sein Hauptthema ist Bildung.
Die Sache ist für von Kirchbach, 53, nicht einfach. Zum einen landete die SPD bei der letzten Kommunalwahl trotz ihres Topthemas Wohnungsverkauf nur bei 17,9 Prozent. Zum anderen arbeitet er seit acht Jahren mit Salomon zusammen. Immer wenn Salomon mit staatstragender Miene die "vertrauensvolle Zusammenarbeit" mit dem SPD-Kollegen lobt oder gar fragt, warum er denn in der ganzen Zeit von ihm "zu den meisten Themen nichts gehört" habe, wird von Kirchbach zappelig. Irgendwann hält er es nicht mehr aus und ruft: "Ich habe acht Jahre genug damit zu tun gehabt, den größten Unsinn zu verhindern." Danach hat er rote Backen und lächelt zufrieden.
Kandidat Nummer 3 ist Günter Rausch, der für die linke Initiative "Wechsel im Rathaus" antritt. Unterstützt wird er auch von der Grünen Alternative Freiburg (2 Sitze), die sich 2008 abgespalten hat, weil sie die grüne Regierungspolitik und den grünen OB ausdrücklich ablehnt. Rausch, 57, ist Franke und Professor für Sozialmanagement an der Evangelischen Hochschule in Freiburg. Und so spricht er auch. Es ist ihm wichtig, dass er "keiner Partei angehört". Früher war er in der DKP. Er bearbeitet dieselben Felder wie von Kirchbach. Nur vertritt er explizit den Teil der Bevölkerung, den er "kleine Leute" nennt, etwa die Mieter jener Sozialwohnungen, die Salomon verkaufen wollte. Rausch hat maßgeblich dazu beigetragen, dass es nicht dazu kam. Seine Vision ist eine "Bürgerkommune" mit breiter Partizipation. Auf Sachfragen lässt er sich nicht ein.
Am nächsten Tag im Rathaus. Draußen regiert Freiburg-Wetter. In der Stadtmitte sitzen sie mit den Sonnenbrillen vor den Cafés. Salomon wirkt ausgeschlafen, jung und erwachsen zugleich. Im Sommer wird er 50.
Warum treten Sie eigentlich noch mal an?
Weils grad "Riesenfreude" mache, sagt er. Wegen der Pension, sagen seine Gegner. Aus seiner Sicht ist seine achtjährige Amtszeit eine Erfolgsgeschichte. Erst eine harte Periode der Sanierung als Erbschaft des sozialdemokratischen Vorgängers. Kürzungen, Umstrukturierungen, Haushaltssperren. "Wir hatten kein Geld, waren handlungsunfähig, und ich musste allen Leuten auf den Füßen rumtreten, furchtbar." Und jetzt eine zweite Phase, "in der wir am Machen sind". Er zählt die wichtigsten Projekte auf: Nahverkehr, Wohnungsbau, Kinderbetreuung, Schulsanierung, Klimaschutz. "Ohne Geld sind Sie nur ein armes Schwein. Mit Geld kann man wirklich die Dinge vorantreiben, wenn man sich klug anstellt. Und jetzt haben wir grade die Phase mit Geld." Anders als in anderen Kommunen sehen die Finanzprognosen für die nächsten Jahre in Freiburg nicht düster aus. Angesichts von 6,5 Prozent Arbeitslosenquote und vielen, stabilen Arbeitsplätzen im Bereich öffentliche Dienstleistungen kommt es vor, dass die Freiburger andernorts gefragt werden, warum sie eigentlich immer so aufgeregt seien.
Salomon stammt aus einem Wirtshaus im Allgäu. Promovierter Politologe, mit 31 im Landtag. Echte Aufstiegsbiografie. Er lebt seit drei Jahrzehnten in Freiburg. Für viele ist er immer noch "der Dieter". Dass es dieser Stadt wichtig ist, anders zu sein als alle anderen, darüber kann er Witze machen, aber er sieht das erste Freiburger Gebot auch immer wieder bestätigt. Deutschlands südlichste Metropole sei "eine Stadt des provinziellen Größenwahns", hat er mal in der taz gesagt, "der größte Quatsch" habe hier den Anspruch, "dem Weltgeist abgelauscht" zu sein. Und er passe prächtig dazu.
Ein Satz, den er im Gespräch häufig verwendet: "Das gibt es auch nur in Freiburg." Etwa dass ihm die Grünen am Anfang dieselben wütenden Protestbriefe schickten wie seinem SPD-Vorgänger. Sein Job ist es, auf Grundlage der süddeutschen Gemeindeverfassung Mehrheiten für seine Projekte zu finden. Er sagte den Grünen, er regiere am liebsten mit ihnen. Aber wenn sie verrückte Dinge wollten, dann organisiere er auch andere Mehrheiten. Am Anfang glaubten sie das nicht. Dann mussten sie es glauben.
Heute, sagt er, "sind die Grünen Regierungsfraktion und stolz auf die Bilanz, die wir haben". Sie hätten gemerkt: "Regieren ist viel besser als opponieren." 80 Prozent umsetzen sei besser als gar nichts umsetzen. Für Salomon war das schon immer klar, weshalb er schon in den 90ern "Superrealo" genannt wurde.
In Konstanz muss der Grüne OB Horst Frank gegen die eigene Partei Politik machen. In Freiburg sieht man nicht mehr jedes Mal die Gründungsideale der Partei verraten, wenn Salomon die grüne Position etwas weiter auslegt, damit eine Mehrheit zusammenkommt. Das muss er. Die Grünen repräsentieren ein Viertel der Bürger und haben 12 von 48 Sitzen. Die CDU hat 10 Sitze, die freien Wähler haben 3.
Fühlt sich die CDU denn nun so wohl mit Salomon, dass sie keinen Kandidaten aufstellt? Faktisch hat Baden-Württembergs CDU in Großstädten zunehmend Probleme und in Freiburg seit 1956 keine OB-Wahl gewinnen können. Der baden-württembergische Exminister und CDU-Kandidatenchefscout Andreas Renner sagt, die CDU müsse zwar den Anspruch haben, in Freiburg einen Kandidaten zu stellen, aber in diesem Fall sei der Verzicht darauf angesichts der Gesamtkonstellation "die richtige Entscheidung". Andere sagen: Die CDU hatte weder das Geld noch den Kandidaten, um eine Chance zu haben. Renner kennt Salomon aus seiner Zeit als Stadtoberhaupt von Singen. Seine Einschätzung: "Salomon ist ein Grüner, aber einer, der im Grunde seines Herzens zutiefst bürgerlich ist."
Im Übrigen ist die CDU in Freiburg selbstverständlich progressiver als anderswo. Darüber hinaus ist "Herr Dr. Dieter Salomon" im konservativen Lager aber auch bestens vernetzt und für manche eine Respekts- und Repräsentationsperson, von der man Freiburg auch global gut vertreten fühlt, wenn er die Ökomoderne bei Clinton präsentiert. Oder in China. Könnte sein, dass sich die CDU demnächst noch für Salomon ausspricht. Könnte auch sein, dass nicht.
Aus Salomons Sicht haben die Parteigänger der Grünen mittlerweile eingesehen, "dass die Grünen eine bürgerliche, werteorientierte Partei mit hohem Bildungsniveau und ab bestimmtem Alter auch mit einem hohen Einkommen sind und keine Prekariatspartei". Zum anderen sei die CDU nicht mehr so wie zu Zeiten des Ministerpräsidenten Erwin Teufel. Da habe es noch "Glaubenskriege" im Landtag gegeben wegen Ganztagsschulen oder Betreuung für unter Dreijährige. Passé. Bildung, Klimaschutz, selbst Integration: "Zumindest die CDU-Gemeinderatsfraktion hat mit der Politik, die ich mache, überhaupt kein Problem."
In den Fluren des Rathauses hängen Bilder der früheren Oberbürgermeister. Vorgänger Rolf Böhme hatte Salomon zum Amtsantritt ein Böhme-Porträt neben die Bürotür hängen lassen. Inzwischen hängt es in einem dunklen Eck. Wird er so eins auch von sich anfertigen lassen?
"Nein, werde ich nicht."
Und? Wie geht die Wahl aus?
"Gut", antwortet Dieter Salomon.
Zur Not würde auch eine einfache Mehrheit im zweiten Wahlgang zur Wiederwahl ausreichen. So war es beim Grünen-Kollegen Frank in Konstanz. Auf dem Wahlzettel steht die Partei übrigens gar nicht drauf.
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