Bürgerkrieg in Syrien: Operation „Vulkan Damaskus“
Die syrischen Rebellen greifen das Herz des Regimes an: Zwei enge Assad-Vertraute sterben bei einer schweren Bombenexplosion in der Hauptstadt Damaskus.
BERLIN taz | Was genau am Mittwoch in der Behörde für Nationale Sicherheit in Damaskus geschah, ist bislang unklar. Es kursieren Gerüchte, dass einer der Bodyguards den Anschlag verübt hat. Doch was genau Festzustehen scheint nur, dass sowohl Assef Schaukat, der mächtige Schwager von Präsident Baschar al-Assad, als auch Verteidigungsminister Daud Radschha tot sind.
Zumindest haben sowohl das syrische Staatsfernsehen als auch oppositionelle Aktivisten bestätigt, dass beide Männer ermordet wurden. Demnach hat sich offenbar ein Selbstmordattentäter in oder an dem Gebäude im Stadtteil Rawda in die Luft gesprengt, während sich dort Kabinettsmitglieder und führende Sicherheitsbeamte zu Krisengesprächen getroffen hatten.
Insgesamt sollen dabei fünf Menschen ums Leben gekommen sein, Innenminister Mohammed Ibrahim al-Schaar und der Leiter der Nationalen Sicherheitsbehörde erlitten offenbar schwere Verletzungen. Daud Radschha, ein orthodoxer Christ, hatte sein Amt erst im Oktober letzten Jahres angetreten. Assef Schaukat, der mit Baschar al-Assads Schwester Buschra verheiratet war, zählte nach Einschätzung von Experten zu den Schlüsselfiguren innerhalb des Sicherheitsapparats und zum inneren Kreis des Regimes.
Es ist das erste Mal seit Beginn des Aufstands vor rund 17 Monaten, dass den Rebellen ein Mordanschlag auf ranghohe Vertreter der Führung in Damaskus gelungen ist. Eine islamistische Gruppe, die sich „Liwa al-Islam“ nennt, „Brigaden des Islam“, hat sich auf Facebook zu der Tat bekannt; doch zugleich erklärte sich auch die Freie Armee Syriens (FSA) verantwortlich. Schaukat soll bereits Ende Mai ein Attentat überlebt haben: Damals hatte ein Koch Berichten zufolge ihm und anderen Sicherheitsbeamten vergiftetes Essen serviert.
Staatsfernsehen spricht wieder von „Terroristen“
Im staatlichen Fernsehen hieß es, vom Ausland unterstützte „Terroristen“ hätten das Attentat verübt. Die Streitkräfte teilten in einer Stellungnahme mit, Syrien sei „entschlossener denn je, allen Formen des Terrorismus zu begegnen und die Hand abzuschlagen, die der nationalen Sicherheit schadet“. Ein Sprecher der Rebellen wertete den Anschlag unterdessen als entscheidenden Erfolg: „Das ist der Vulkan, von dem wir gesprochen haben“, sagte Qassim Saaedine der Agentur Reuters.
Am Montag hatte die FSA eine groß angelegte Offensive unter dem Titel „Damaskus Vulkan“ mit einer Serie von Angriffen in der syrischen Hauptstadt begonnen. Seither ist es im Zentrum von Damaskus erstmals zu schweren Gefechten zwischen Rebellen und Regierungstruppen gekommen.
Doch aus den Reihen der Regimegegner kommt auch Kritik an den Attentätern: „Das sind keine guten Nachrichten“, sagt eine Aktivistin in dem Viertel al-Tadhamen, die sich Sofie nennt. „Selbst wenn diese Leute nun tot sind – was bringt uns das? Das Regime wird blutige Rache an uns nehmen. Wir rechnen damit, dass sie jetzt mit noch viel mehr Gewalt gegen uns vorgehen werden.“
Unterdessen wurden auch mehrere Explosionen aus dem zentralen Viertel Muhajereen gemeldet, wo die gefürchtete Vierte Division der Armee stationiert ist. Assads Bruder Maher leitet diese Einheit, die bei der Niederschlagung des Aufstands eine wichtige Rolle spielt. Nach unbestätigten Berichten kam es erneut zu schweren Kämpfen in den Vierteln Midan, Qaboun und Jobar.
Ein Helikopter wurde abgeschossen
In der Nacht zum Mittwoch soll die Armee in Jobar mit Panzern und Kampfhubschraubern auf Wohnsiedlungen gefeuert haben, in denen sich die Rebellen verstecken. Nach Angaben von Aktivisten soll die Armee Verstärkung in die umkämpften Viertel gebracht haben. Am Dienstag ist es den Rebellen nach eigenen Angaben gelungen, einen der Helikopter abzuschießen.
Auf Videos im Internet ist zu sehen, wie schwarze Rauchschwaden über Damaskus aufsteigen. Einige der Clips zeigen nach Angaben von Aktivisten Armeebaracken am Hang des Berges Kassioun, die von den Kämpfern der Freien Armee Syriens in Brand gesteckt wurden. Im staatlichen Fernsehen liefen unterdessen Bilder von Truppen, die in den Straßen vom Midan Position beziehen.
Die FSA hatte Anfang der Woche die „finale Schlacht um Damaskus“ ausgerufen und die „Befreiung“ der Hauptstadt angekündigt. Doch ob die Kämpfe im Zentrum der Metropole tatsächlich den Sturz des Regimes einleiten, ist noch nicht abzusehen: „Das wird sich bald zeigen“, sagt ein renommierter westlicher politischer Analyst in Damaskus.
„Auf militärischer Ebene ist die bewaffnete Opposition längst nicht so weit, dass sie das Regime besiegen könnte. Allerdings sind die Kämpfe in Damaskus von hoher symbolischer Bedeutung: Wenn sich der Eindruck einstellt, dass das Regime die Hauptstadt verliert, könnte dies einen Prozess des Zerfalls einleiten, der letztlich zu seinem Niedergang führt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Demokratieförderung nach Ende der Ampel
Die Lage ist dramatisch