■ Bürgerentscheid über Autotunnel in München: Kein verkehrspolitischer Backlash
Eine geographische Banalität hat seit Sonntag auch einen politischen Sinn: München ist nicht Kassel. Denn was vor drei Jahren in Kassel geschah – ein Rollback in der Verkehrspolitik durch eine Kommunalwahl –, ist am Sonntag in München ausgeblieben. Die Autofraktion in Bayerns Landeshauptstadt schaffte nur mit großer Mühe einen Sieg: 50,7 Prozent der Münchner votierten im Bürgerentscheid für drei milliardenteure Tunnels an einer Hauptstraße; 49,3 Prozent der Wähler lehnten dieses Konzept aus den autoverliebten sechziger Jahren ab.
Mag sein, daß ein solch knappes Ergebnis zum Schönreden verleitet – nach dem Motto: Es war ja eigentlich keine richtige Niederlage, sondern fast ein Erfolg. Doch vor ein paar Wochen hatte in München tatsächlich alles nach einem beängstigenden Erfolg der Konservativen ausgesehen. Zwischen 60 und 70 Prozent erhoffte sich die CSU damals – ein Ergebnis wie in Kassel, mit dem man die rot-grüne Verkehrspolitik weggefegt hätte.
Daß der CSU ein solcher Erfolg nicht gegönnt war, lag allerdings nicht an der verkehrspolitischen Vernunft der Münchner Wähler. Vielmehr hatten es die Konservativen in den letzten Wochen mit einer Gegenkampagne von SPD, Bündnisgrünen und professionell arbeitenden Initiativen zu tun, die verkehrspolitische Fragen weitgehend ausblendete. Denn, so lautete die Annahme der Tunnelgegner, allein mit verkehrspolitischer Einsicht wäre der Bürgerentscheid nicht zu gewinnen: Die schlichte CSU-Gleichung „Tunnel da = Stau weg“ wäre nur mit komplexen und schwer vermittelbaren Argumenten als Scheinrechnung zu entlarven.
Also konzentrierten sich die Tunnelgegner auf die Finanzfrage: Muß man zwei Milliarden Mark in drei Tunnels verbuddeln, obwohl Stadt und Staat sonst in allen Bereichen kürzen? Und plötzlich war die CSU in der Defensive und mußte vorrechnen, wie billig so ein Tunnel doch zu haben sei, weil ja Edmund Stoiber ein paar hundert Millionen lockermachen würde. Diese Rechnung geriet dank Theo Waigels Sparappellen teilweise recht lächerlich – was München und andere Kommunen vor einem Rollback in der Verkehrspolitik bewahrt hat. Felix Berth
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