Bürgerbeteiliung bleibt Theorie: Umweltschutz in der Schublade
Einen Entwurf zum Landschaftsschutz in Wilhelmsburg gibt es schon lange. Umweltverbände befürchten, dass er noch gekippt wird.
Die freie, bäuerlich geprägte Kulturlandschaft im Osten der Elbinsel Wilhelmsburg soll geschützt werden. So sieht es eine Verordnung vor, deren Entwurf vor mehr als einem Jahr öffentlich auslag und von der seither nicht mehr gehört ward. Der fertig abgestimmte Entwurf für ein „Landschaftsschutzgebiet Wilhelmsburger Elbinsel“ sei wohl „in den Tiefen des Rathauses versunken“, mokiert sich der Botanische Verein. Und Harald Köpke vom Umweltverband BUND befürchtet, dass der Entwurf am Ende in der Tonne landen könnte und ein Stück Bürgerbeteiligung gleich mit.
Die Verordnung sieht vor, das Gebiet östlich der Autobahn A 1 bis auf dessen Ränder unter Schutz zu stellen. Dazu kämen der Uferbereich der Wilhelmsburger Dove-Elbe, die Feuchtwiesen in Kirchdorf Mitte und Nord, zwei Areale beidseits der Kornweide, sowie weite Strecken des Elbufers. Es gelte „eine der ältesten bestehenden Kulturlandschaften im norddeutschen Raum“ zu schützen, in der sich die WilhelmsburgerInnen erholten und die gefährdeten Tieren und Pflanzen Lebensräume biete.
In der Tat tummeln sich in den Feuchtwiesen und Gräben Sumpf- und Teichrohrsänger, Moorfrösche und Kammermolche, selbst der Seeadler brütet hier neuerdings wieder. Kein Wunder, dass im Rahmen der Zukunftskonferenz für Wilhelmsburg vor gut zehn Jahren der Wunsch geäußert wurde, das Gebiet östlich der Autobahn von neuen Siedlungen und Gewerbegebieten frei zu halten.
An einer Stelle, am Obergeorgswerder Deich, ist dieses Prinzip durchbrochen worden: Dort, direkt im Autobahnknie, liegt jetzt ein Güterverkehrszentrum. Der Plan, eine Doppel-Pferderennbahn in Stillhorn zu bauen, zerschlug sich. Auch der Vorschlag des Oberbaudirektors Jörn Walter, westlich der Autobahn, auf den „Klappertopf-Wiesen“ nördlich des Hochhausquartiers Kirchdorf Süd im Rahmen der Internationalen Bauausstellung IBA 2013 eine Ökosiedlung zu bauen, wurde abgeschmettert.
Wilhelmsburg ist 35 Quadratkilometer groß, hat 51.000 Einwohner und gehört mit 1.400 Einwohnern zu den weniger dicht besiedelten Stadtteilen. Der Hamburger Durchschnitt beträgt 2.300.
Trotz der teilweise ländlichen Struktur wohnen nur 16 Prozent der Bevölkerung in Ein- und Zweifamilienhäusern - gegenüber 21 Prozent hamburgweit. Die Wohnfläche pro Kopf liegt mit 28 Quadratmetern weit unter dem Durchschnitt von 37 Quadratmetern.
Der Anteil von Sozialwohnungen ist dagegen mit 31 gegenüber elf Prozent besonders hoch. 24 Prozent der Bevölkerung beziehen Sozialhilfe gegenüber zehn Prozent im Hamburger Durchschnitt.
Zwei Naturschutzgebiete gibt es im Stadtteil: die Rhee im Nordosten und das Heuckenlock im Süden.
Doch seither ist der Druck gestiegen: Der SPD-Senat hat versprochen, jedes Jahr 6.000 neue Wohnungen zu bauen, und muss jetzt sehen, wo er die Flächen dafür hernimmt. Obwohl es, wie es in der Vorlage selbst heißt, in Wilhelmsburg einige andere Orte gibt, wo Wohnungen gebaut werden könnten, dürfte es dem Senatsbeauftragten für den Wohnungsbau, Michael Sachs, schwer fallen, auf potenzielle Siedlungsgebiete zu verzichten.
„Diesmal sind wir so weit wie noch nie“, sagt Köpke vom BUND mit Blick auf die fertige Verordnung. Diese sei das Ergebnis jahrelanger Verhandlungen im Stadtteil. „Der Senat will Bürgerbeteiligung offenbar so lange betreiben, bis ihm das Ergebnis passt“, kritisiert er.
„Es gibt offenbar einflussreiche Kreise, die man in der Wirtschaftsbehörde bis in die Senatskanzlei hinein vermuten kann, die immer wieder neue Bedenken erfinden – obwohl die Fristen dafür längst abgelaufen sind“, sagt Horst Bertram vom Botanischen Verein. „Warum setzt sich die für Umwelt- und Naturschutz zuständige Senatorin nicht durch?“, fragt er.
Der Sprecher der Senatorin Jutta Blankau (SPD) versichert, die Umweltbehörde habe ihre Hausaufgaben gemacht und warte jetzt auf ein Signal aus dem Rathaus. „Dort geht es um die Gesamtschau sämtlicher Entwicklungen in Wilhelmsburg heute und in Zukunft – Wirtschaft, Verkehr, Wohnen, Umwelt, Freizeit.“
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