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BürgerbeteiligungPolizei wird von selbst aktiv

Der Bezirk Altona übt sich in neuen, öffentlichen Planungsformen. Auf die Kritiker wartet am Ausgang die Polizei.

Versehen oder Absicht? Polizisten kontrollieren Aktivisten. Bild: Lena Kaiser

Bei der öffentlichen Auftaktveranstaltung zum Beteiligungsverfahren "Zukunftsplan Altona" schaltete sich am Dienstagabend die Polizei ein. Ein "unglückliches Vorgehen", meinten die vom Bezirk mit dem Verfahren beauftragen Planungsbüros "Polis Aktiv" und "Raum und Prozess". Von einem Dutzend Aktivisten, die die Veranstaltung für eine Protestaktion nutzten, wurden Personalien aufgenommen.

"Der offene Dialog soll das Wesen des Zukunftsplans Altona sein", sagt der stellvertretende Bezirksamtsleiter Kersten Albers. Zusammen mit Bewohnerinnen und Bewohnern, Gewerbetreibenden, Vereinen, Politik und Verwaltung plant der Bezirk Altona bis Mitte 2011 die Zukunft für die Stadtteile Altona-Altstadt, Altona-Nord und Sternschanze. Dabei geht es um die Entwicklung der nächsten 15 bis 20 Jahre. Ziel der Planung ist, die Wohnsituation zu verbessern.

Noch während der Begrüßungsrede stehen ein Dutzend Aktivisten von ihren Plätzen auf. Sie betreten die Bühne und rollen zwei Transparente aus. Albers nimmt es gelassen und liest einen der Schriftzüge vor: "Altopia - Bahngelände Altona unser Stadtteil!" Seine Gedanken wolle er aber gerne noch zu Ende führen. Dann übernimmt einer der Aktivisten das Mikrophon. "Wir sind Anwohner, die sich seit Jahren verarscht fühlen von Veranstaltungen wie diesen", sagt er. Der Protest richte sich gegen die Verdrängung sozial benachteiligter Bewohner Altonas. Beim Verlassen des Saales werfen sie Konfetti. Am Ausgang wartet bereits die Polizei. Nach der Protestaktion sind schnell acht Polizeiautos vor Ort.

Zivile Einsatzkräfte hätten vor Beginn der Veranstaltung festgestellt, dass Personen am Eingang Unterschriften für eine Mietsenkung bei den städtischen Wohnungsbaugesellschaften Saga und GWG gesammelt und Flugblätter verteilt haben, sagt Polizeisprecherin Karina Sadowski. Später sei die Veranstaltung dann gestört worden. Die Veranstalter, der Bezirk und das Stadtentwicklungsteam, ließen die Protestierer zunächst gewähren, baten sie dann aber, den Protest zu unterlassen, und teilten das auch den anwesenden Zivilpolizisten mit. "Wir haben mit den Protestierenden Kontakt aufgenommen, weil wir nicht wollten, dass die Veranstaltung über längere Zeit gestört wird", sagt Anette Quast von Polis Aktiv. Aber dann seien die Aktivisten nach einem kurzen Vortrag friedlich abgezogen.

Während die Veranstaltung drinnen zunächst weiter ihren geplanten Gang nimmt, werden draußen Platzverweise ausgesprochen und Personalien aufgenommen. "Und das, obwohl uns drinnen das Mikrophon gereicht wird und wir sprechen dürfen", sagt eine Aktivistin.

"Warum wissen die Leute hier drinnen nicht, was draußen passiert", fragt eine Anwohnerin, die das Geschehen draußen beobachtet hat, die Moderatorin. Sie habe den Eindruck, dass hier eine Kriminalisierungspolitik ausgeweitet werde, die sie an die Schanze erinnere. Die Aktivisten seien kritisch, "das rechtfertigt aber nicht, was hier polizeilich abgelaufen ist". Schließlich gibt die Moderatorin einer Darstellung der Vorkommnisse draußen Raum und es schließt sich eine Diskussion an.

Die Polizeisprecherin begründete das Vorgehen tags darauf damit, dass es den Verdacht einer Straftat gegeben habe. Anschließend sei die Polizei auf die Veranstalter zugekommen und habe gefragt, ob sie Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch stellen wollen, sagt Quast. Sie hätten abgelehnt. "Wir vom Beteiligungsteam wollen nicht, dass beim Beteiligungsprozess die Polizei vor der Tür steht", sagt Quast. "Das war das erste Mal, dass so etwas passiert ist und ich sehe keine Veranlassung für ein solches Vorgehen."

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8 Kommentare

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  • W
    Wübbe

    @Martin Schmitz

    Sind sie im gleichen ThinkTank wie Herr Goll?

    http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,721015,00.html

    Auf welchem Niveau gejammert wird, können sie hier sehen: http://www.haz.de/Nachrichten/Politik/Niedersachsen/Polizei-laesst-Atomkraftgegner-von-Kopf-bis-Fuss-erfassen

  • AG
    Anti Gentri

    Es ist sehr bedenklich, das die Polizei den unbescholtenen Bürger der sich ledigtlich informieren will, kriminalisiert.

     

    Hier werden Investoren beschützt die Deutschland mehr und mehr in ein Geldwäscherparadies verwandeln!

    Siehe dazu: http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/1128370/Geldwaesche-Bananenrepublik-Deutschland#/beitrag/video/1128370/Geldwaesche-Bananenrepublik-Deutschland

     

    Jetzt droht eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH)da die Richtlinie zur Bekämpfung der Geldwäsche bislang nicht in deutsches Recht umgesetzt wurde.

     

    http://www.nealine.de/news/Politik/EU/bundesregierung-droht-klage-wegen-geldwaeschegesetz-1937764336.html

  • MS
    Martin Schmitz

    Zum Beitrag von Herrn Hirsch frage ich mich warum hier von einer Unschuldvermutung ausgegangen worden werden sollte. Die Protestierer habe eine öffentliche Veranstaltung gestört, sich mehr oder minder Gewalt Rederecht genommen, auch wenn es ihnen sogar freiwillig gewährt wurde. Sie haben die Rede des Bezirksvertreters gestört und unterbrochen und im Anschluss an die Auführungen den Raum verunreinigt.

     

    Wenn über diese Störung, von der man ja im vorherein nicht weiß wie sie eskaliert,die Polizei ruft und die dann sicherheitshaber erst einmal die Namen und Adressen derer die da gestört haben aufnehmen möchte ist das etwas für mich völlig legitimes. Zu dem Zeitpunkt war ja auch noch nicht unmittelbar klar ob wegen dieser Störung des Veranstaltungsablaufs Anzeige erstattet würde. Dies ist nicht erfolgt. Deshalb zu fordern die Daten der Störer müssten dann umgehend gelöscht werden halte ich nun für etwas überzogen. Wer Spielregeln verletzt muss schon damit rechnen das zumindest mal der Name aufgeschrieben wird. Das ist hier ein Jammern über gefühltes Unrecht oder Respression auf einem verdammt hohen Wohlstandsdemoktratieniveau.

     

    Martin Schmitz

  • KW
    Kit Walker

    Herr Schmitz,

     

    den Skandal der zu unrecht aufgenommenen Personalien verstehen Sie nicht? Nun, dann fehlt Ihnen wohl ein Grundwissen in Staatsbürgerkunde.... dieses wiedrum erklärt dann ja auch ihre restliche Fehleinschätzung.

     

    1. erwarte ich von einer gewählten (und somit geduldteten) Politik auch Kritik zu Wort kommen zu lassen.

    2. was hätte es den, statt harmloser Papierschnitzel, sein sollen? Anthraxschnipsel??? Wo leben Sie denn? SIe glauben wahrscheinlich auch noch an Massenvernichtungswaffen im Irak...

     

    3. Ein Atlas Altona kann gar nicht wertfrei erstellt werden, da dieser Atlas ja etwas zu Ziel hat, also nicht ergebnisoffen ist...kleine Grundlagen des wissenschaftlichen arbeitens und somit einmal mehr Augenwischerei, klappt ja aber, wie man an Ihnen sieht.

     

    4. Dadurch, dass Beteiiligung nicht zwingend vorgeschrieben ist, wird der Schwachsinn, der uns Bürgern da vorgesezt wird ,nicht besser. Im Gegenteil, die Bezirksverwaltung geht nicht auf ihre Bürger ein, sondern lenkt mit solchen Pseudo- Bürgerbeteiligungsveranstaltungen von den wahren Problemen im Bezirk (kapper werdender bezahlbahrer Wohnraum, gut qualifizierte und gut bezahlte Kinderbetreuung, Einsparungen an allen sozialen Ecken und Kanten, immer stärekere Segregation der Bevölkerung usw.)

    Wer sich hier nicht an die Spielregeln hält sind Bezirks- und Sentatspoliti und Polizei, die jeden Bürger, der die derzeitige Politik öffentlich kritisiert, versucht zu kriminalisieren!Eine AG Gentrification gibt bes bereits, was kommt als nächstes?

  • MS
    Martin Schmitz

    Schade das die Berichterstattung über diese wirklich gute Veranstaltung sich fast ausschließlich mit denen beschäftigt die nicht mitdiskutieren, die die Veranstaltung gestört haben, sich nicht an die Spielregeln halten. Die Empörung darüber das dann auch noch die Personalien aufgenommen werden, welch ein Skandal!, verstehe ich nicht.

     

    Die Vertreter des Bezirksamts sind sehr gelassen und souverän mit der Störung umgegangen und habe auch keine Anzeige erstattet, was ja auch dargestellt wurde. Dies sollte auch einmal betont werden, denn ich finde es schon eine Zumutung unterbrochen zu werden und dann mit Konfetti verziert zu werden, wo man zunächst auch nicht gleich weis ob das jetzt nur "harmlose Papierschnitzel" sind.

     

    Insgesamt war dies eine Veranstaltung die wirklich offen und dialogorientiert einen Auftakt für die Zukunftsplanung Altona bildete. Die Gundlagenarbeit des tollen Atlas Altona war beeindruckend. Hier ist ohne Wertung schon sehr viel Gutes geleistet worden. Zu erwähnen wäre auch noch das solch ein Beteíligungsverfahren weder vorgeschrieben noch zwingend erforderlich wäre. Die Bezirksverwaltung geht also hier auf die Bürger zu.

     

    Schade das dann nur über die berichtet wird die diesen Dialog gar nicht erst aufnehmen, sondern nur stören wollen.

     

    Martin Schmitz

  • JH
    Johann Hirsch

    Bespitzelung während einer Veranstaltung zu der ganz offiziell eingeladen wurde ist das eine. Die Überprüfung der Personalien mit dem ständig misbrauchten Argument der vermuteten Straftat ist das andere Ei. Wo bleibt die Unschuldsvermutung, die doch ein Grundrecht ist? So kommt immer stärker deer Verdacht auf das sämtliche Bürger Beteiligungsverfahren reine Imageveranstaltungen einer entzweibrechenden Gesellschaft sind. Der Staat steht eindeutig immer auf der Seite der Investoren. Die Anwohner haben nur von ihrem Recht gebrauch gemacht. Leider verlieren die Politiker die Berechtigung für ihr Mandat und ihre Glaubwürdigkeit insgesamt.

  • D8
    Die 8 Fragezeichen

    Da drängen sich ja Fragen auf: ist das nun die berühmte "repressive Toleranz"? Eine raffinierte Falle? Oder einfach nur das, was schliesslich herauskommt, wenn man schwarz und grün mischt ? Und wird der Scheuerl nun auch bald erkennungsdienstlich behandelt? Wählen die Altonaer Projektentwickler, Architekten und Makler mit $-Zeichen in den Augen eigentlich auch grün? Muss ich nun immer mitm Auto zum Hauptbahnhof, wenn ich Bahn fahren will? Warum haben die denn im vorletzten Jahrhundert einen Bahnhof in Altona gewollt? Und wozu genau brauchen wir nochmal diese grüne Stadtbahn? Fragen über Fragen.

  • DT
    Dr.med. Thomas Leske

    Meine Frau und ich waren nach der Aktion (an der wir teilgenommen hatten) nicht schnell davon gegangen (anfangs waren es auch nur 4 Streifenpolizisten, die versuchten, so viele als möglich von den ca. 12 Aktivisten festzuhalten, um die Personalien festzustellen) sondern am Ort geblieben, um zwei jungen Leuten als Zeugen beizustehen, die von den Polizisten bereits gewaltsam festgehalten wurden. Denn unserer Erfahrung nach werden bei solchen Polizeieinsätzen gerade die Jungen mit besonderer Härte "behandelt" offenbar zur Einschüchterung, wenn die Beamten sich unbeobachtet fühlen. Es gelang den jungen Leuten, sich loszumachen. Aber wir alle zusammen (es war noch ein junges Mädchen mit ihrem Fahrrad dabei) kamen aber nur noch bis zur Ecke Thedestraße/Esmarchstraße. Dort wurden wir von anderen Polizisten und Zivilbeamten eingekreist, die inzwischen zur Verstärkung dazu gekommen waren. Wegen unseres lautstarken Protestes dagegen, dass kein Grund für die Personalienfeststellung gegeben wurde, mussten wir die unseren dann schließlich auch noch abgeben.Das dachten wir erst. Als Grund wurde auf unsere Rückfrage beim Einsatzleiter dann allerdings "Störung einer Versammlung" angegeben. Von Freunden haben wir inzwischen erfahren, dass danach noch Straßen abgesperrt worden waren und dass die Polizei noch zwei Stunden lang versuchte, weitere Personen zu finden, die den Zivilbeamten, die sich bei der Versammlung unter die Teilnehmer gemischt hatten, nun wohl noch auf ihrer Festnahmeliste fehlten. Insofern müssen wir wohl davon ausgehen, dass die in seinem Kommentar von Kai von Appen geäußerten Vermutungen leider wohl alle zutreffen.