Buenos Aires: Shell darf wieder raffinieren
Argentinien hatte die Schließung einer Produktionsanlage des US-Konzerns verfügt. Wenige Tage später zog es die Entscheidung überraschend wieder zurück.
BUENOS AIRES taz "Die argentinische Regierung hat am Dienstag die Schließung einer Shell-Raffinerie bei Buenos Aires aufgehoben. Nach Mitteilung der Umweltbehörde hat Shell einen Sanierungsplan vorgelegt und Investitionen in Höhe von 60 Millionen US-Dollar zugesagt. Der Konzern hatte zuvor Lieferausfälle für seine rund 900 Tankstellen angekündigt. Der Preis für Benzin und Diesel war daraufhin um bis zu sechs Prozent gestiegen.
Die Raffinerie war am 5. September wegen Umweltverschmutzung geschlossen worden. Die Umweltbehörden hatten dem Konzern vorgeworfen, dem Rio de la Plata seit acht Jahren stündlich 18,4 Millionen Liter Wasser unerlaubterweise zu entnehmen. Zudem wurden erhebliche Verseuchungen im Erdreich festgestellt.
Die Schließung kam nicht überraschend. Bereits Ende August hatte die Regierung damit gedroht. Die Raffinerie ist die einzige, die Shell in Lateinamerika betreibt. Sie liegt auf einem 120 Hektar großen Gelände südlich der Hauptstadt. Das ganze Gebiet gilt als hochgradig vergiftet, zahlreiche Ölfirmen und Chemiebetriebe leiten ihre Abwässer ungereinigt in den Kanal. Schon seit langen versucht die Regierung, die Umweltverschmutzung einzudämmen. Seit 90 Jahren ist Shell in Argentinien aktiv. Der Konzern hält gegenwärtig einen Anteil von 13 Prozent auf dem Treibstoffmarkt. Eine eigene Rohölförderung betreibt der Konzern in Argentinien nicht. Shell Argentina muss jedes Barrel Öl kaufen.
"Das Umweltrisiko war nicht der Grund für die Schließung", kommentierte Juan José Aranguren, der Vorsitzende von Shell Argentina, die Schließung. Neben der Raffinerie betreibt sein Unternehmen ein Netz von 900 Tankstellen, davon 150 eigene und 750 Vertragstankstellen. 2004 hatte Petróleos de Venezuela Sociedad Anónima (PDVSA) gemeinsam mit der argentinischen Empresa Nacional de Energía (Enarsa) versucht, Shell zu übernehmen. Die beiden Staatsunternehmen hatten vor allem das Tankstellennetz im Visier. Noch im Februar 2005 gab sich Venezuelas Präsident Hugo Chávez zuversichtlich: "Die Gespräche sind weit vorangekommen. Shell ist dabei, seine Investitionen in Lateinamerika zurückzuziehen, und wir wollen in der Region investieren." Aus dem Deal wurde nichts.
Doch seither bläst dem Konzern der Wind kräftig gegen die Muschel. Im März 2005 wetterte Präsident Kirchner erstmals öffentlich gegen Shell. Der Konzern hatte Preiserhöhungen an seinen Zapfsäulen angekündigt und reagierte damit nach eigener Aussage auf die steigenden Rohölpreis infolge der Irakkrise. Kirchner rief zum Boykott auf: "Nicht eine Döse Öl" solle die Bevölkerung bei Shell kaufen, so Kirchner damals. Eine Tag später blockierten regierungsfreundliche Piqueteros 33 Shell-Tankstellen. Wenig später musste Shell die Preise wieder senken.
Allen voran die Behörde von Guillermo Moreno, Unterstaatssekretär für den Inlandshandel, nagt an der gelben Muschel. Im Jahr 2007 wurden zwei Drittel der rund 800 Preis- und Versorgungskontrollen auf dem Treibstoffmarkt von der Morenobehörde bei Shell vorgenommen. Juan José Aranguren nannte die Aktionen von Moreno schon einmal "eine Diskriminierung" und schaltete entsprechende Anzeigen in den großen Tageszeitungen. Mittlerweile droht den Shellmanagern gar eine mehrjährige Gefängnisstrafe. Die Regierung hatte Strafanzeige gestellt, da einige Shell-Tankstellen in den Wintermonaten keinen Treibstoff anbieten konnten. Prompt reagierte die Regierung mit dem Vorwurf der "vorsätzlichen Unterversorgung" und beruft sich dabei auf ein Versorgungsgesetz von 1974, mit dem der damalige Präsident Juan Domingo Perón die Inflation bekämpfen wollte und Spekulanten mit Gefängnis drohte. Juristen weisen jedoch darauf hin, dass das Gesetz 1991 durch ein Notstandsgesetz außer Kraft gesetzt wurde und somit derzeit keine Gültigkeit habe. Auch wenn die Regierung Kirchner jeden Verdacht von sich weist. Möglich ist, dass der Präsident den Deal mit Venezuela doch noch vor dem Ende seiner Amtszeit 2007 unter Dach und Fach bringen möchte. Argentinien pflegt eine enge, vor allem finanzielle Freundschaft zum venezolanischen Präsidenten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Innereuropäische Datenverbindung
Sabotageverdacht bei Kabelbruch in der Ostsee