■ Bücher.klein: Chaussys Dutschke
An Aufbereitungen der APO-Geschichte herrscht kein Mangel, das war im 25. Jubeljahr der 68er-Revolte sozusagen augenüberfällig. Dutschke-Biographien gibt es hingegen nach wie vor nur zwei, die Rowohlt-Monographie Miermeisters und Uli Chaussys vor rund zehn Jahren in Erstauflage erschienenes „Die drei Leben des Rudi Dutschke“. Dieses Mißverhältnis resultiert aus zwei entgegengesetzten Irrtümern. Der eine: Dutschke als politische Figur sei ein Medienprodukt, mithin höchstens von symptomatischem Interesse. Der andere: Dutschke sei zwar eine wichtige, authentische Persönlichkeit der Zeitgeschichte, aber sein Leben gehe im wesentlichen in seiner politischen bzw. „theoretischen“ Existenz auf, sei also biographisch unergiebig.
Uli Chaussy wollte gerade keine ideengeschichtliche Abhandlung über Wege und Abwege der „Neuen Linken“ schreiben. Mit einer respekterheischenden Kraftanstrengung musterte der gelernte Rundfunkjournalist nicht nur die Archive, sondern führte auch ein halbes Hundert Interviews mit Zeitzeugen, denen es um ihre eigenen Ideosynkrasien mindestens ebenso ging wie um die Wahrheit. Herausgekommen ist ein erstaunlich einfühlsames Werk, voller Sympathie, aber auch klarsichtig gegenüber der Ambivalenz von Rudis Positionen, beispielsweise das Nebeneinander von christlich bestimmtem Pazifismus und seiner oft waffenstarrenden Befreiungsrhetorik, von Frantz Fanon und der Bergpredigt.
Anläßlich des Projekts einer Neuauflage, jetzt im Ch. Links Verlag, hat Chaussy noch einmal den Text durchgearbeitet, nachrecherchiert und, ohne den ursprünglichen Rahmen zu sprengen, einige neue Kapitel eingefügt. Deren interessantestes schildert Dutschkes Schulzeit und den Konflikt mit der Schulleitung wegen seiner Weigerung, zum „Ehrendienst“ in der Nationalen Volksarmee anzutreten. Wir haben hier ein Stück aktenmäßig erschlossener DDR- Geschichte vor uns, eigentlich ein Lehrstück über die unfehlbare Sicherheit des SED-Regimes, gerade diejenigen abzustoßen, die sich emotional zum Sozialismus als Lebensform hingezogen fühlten. Schon in der ersten Auflage hatte Chaussy keine Scheu, ein linkes Tabu zu brechen und Dutschkes nonkonformistische Haltung zur Frage der deutschen Einheit gebührend zu behandeln. Dutschke war in vieler Hinsicht ein „Ossi“, des Russischen mächtig und Kenner der russischen revolutionären Literatur. Obwohl sein Traum vom vereinten, sozialistischen Deutschland eine blasse Utopie war (und scheiterte), bietet seine, jetzt noch nachdrücklicher von Chaussy herausgearbeitete, „deutsch- östliche“ Orientierung auch heute einen nützlichen Gegenstand des Nachdenkens. C.S.
Ulrich Chaussy: „Die drei Leben des Rudi Dutschke“. Ch. Links Verlag, 1993, 376 Seiten, 45 DM
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