■ Bücher.klein: Spaltet der Balkan Europa?
So provokant, wie sie dem einen oder anderen erscheinen mag, ist die Titelfrage des soeben vom Aufbau-Verlag Berlin herausgegebenen Buches nicht. Der Balkan, oft beschworen als „ewiger Krisenherd Europas“, ist Reiz- und Stichwort politischen Tagesgeschehens, gerade weil immer noch kein Ende des Krieges abzusehen ist – auch wenn die Hoffnungsfunken derzeit verstärkt schlagen. Um so wichtiger dieses Buch. Hier wird eine Gesamtsicht gewagt, werden Bezüge hergestellt über die Balkanländer hinaus zum ehemaligen Osteuropa resp. zu den einstigen sozialistischen Ländern Europas. Anhand eines beachtlichen Faktenmaterials erläutern die Autorinnen die Verbindung von „politischer Instabilität, ökonomischem Chaos und sozialem Notstand“ bei den für viele Menschen offensichtlich noch immer schwer faßbaren nationalen Konflikten. Vorweggenommen sei gleich, daß das Buch durchweg durch sachlich getroffene und faktologisch gut belegte Aussagen zum „balkanischen Phänomen“ besticht. Doch der Bogen ist noch weiter gespannt. Im Blickfeld ist auch Europa, wie es sich einst zu dieser Region verhielt und was es jetzt tut oder eben nicht tut, das Europa, das sein „gemeinsames Haus“ anscheinend ohne die balkanischen (albanischen, bulgarischen, rumänischen, slowenischen, kroatischen, serbischen usw.) Bewohner geplant hat. Einseitige Schuldzuweisungen gibt es aber nicht, denn die „Schuld Europa zuzuschreiben, hieße Ignorierung der inneren Konfliktursachen“ in Ex-Jugoslawien, das einst von seiner Stellung zwischen den Blöcken profitierte und dabei in neue Abhängigkeiten geriet.
Bemerkenswerte Detailbeobachtungen und Analysen gibt es viele: So etwa zu dem stets als peripher betrachteten Albanien, zu den aktuellen Schwierigkeiten Bulgariens, das durch das verhängte Embargo seine traditionellen Austauschbeziehungen, Handelswege und Kooperationsvereinbarungen einbüßte.
Mit einem isolierten Serbien hat die ganze Region so wenig eine Zukunft wie es ohne diesen „alten neuen Balkan“ – daran lassen die Autorinnen keinen Zweifel – in Europa keine Sicherheit geben wird. Ihr Fazit: „Probleme des Balkans waren und sind stets Alarmzeichen für sich anbahnende gravierende Veränderungen von Vormachtstellungen, Unterordnungen, Gleichgewichten und deren Störungen im gesamteuropäischen Staatensystem.“
Westeuropas Verantwortung ist daher um so größer, ob man das nun wahrhaben will oder nicht. Ansonsten könnte das vereinte Europa ein Traum bleiben. Angela Richter
Cornelia Domaschke/Birgit Schliewenz: „Spaltet der Balkan Europa?“ Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 1994, 317 Seiten, 16,80 DM
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