Buddhistisches Erbe: Die unkeusche Göttin
Die Ausstellung "Gandhara" im Berliner Martin-Gropius-Bau blickt circa 2.500 Jahre zurück, als der Norden des heutigen Pakistans eine kulturelle Blütezeit erlebte.
Heute gilt Gandhara als einer der gefährlichsten Flecken der Welt. Umso wichtiger ist es, dass die Bonner Kunsthalle mit ihrer Ausstellung "Gandhara: Das Buddhistische Erbe Pakistans" im Berliner Gropius-Bau auch auf eine Kultur des Friedens und der Schönheit am Hindukusch zurückblickt.
Eine graziös aus grünem Schiefer gearbeitete "Dame mit Blumenstrauß" - von ihrem Entdecker als die Göttin Hariti identifiziert - eröffnet die Schau.
Der frühe Buddhismus wurde mehrheitlich von Frauen unterstützt. Gespiegelt in den Bildnissen der Göttinnen dieser Zeit, kommt einiges über die weibliche Rolle in dieser Lebensphilosophie zum Ausdruck, die sich allmählich zur Religion entwickelt. Die Göttin und (ehemalige) Dämonin Hariti ist Teil einer Kultur, die ihre Blüte vom 1. bis 6. Jahrhundert unserer Zeitrechnung erlebte: Und zwar in einem riesigen Gebiet, das sich nicht nur über den Norden Pakistans erstreckte, sondern zu dem auch Teile von Afghanistan, Tadschikistan und Kaschmir gehörten. Der Name Gandhara beschwört Visionen von abgeschiedenen Klöstern, fruchtbaren Flusstälern im Punjab und der üppig bewachsenen Berggegend des Swat-Tals, dem "Heiligen Land des Buddhismus", mit seinen schneebedeckten Gipfeln, die in den wunderschönen Fotografien der Ausstellung zu sehen sind. Nicht zuletzt ist da auch die Vision der Seidenstraße, durchdrungen von unterschiedlichen Kulturen und Religionen und einem regen Handel mit Gewürzen, Seide, Glas und Porzellan.
Nicht nur Handel, auch Krieg und Eroberungen nahmen diese Route. Der Khaiberpass verbindet seit dem Altertum die westlich gelegenen Länder und die indische Tiefebene. "Jeder Stein ist mit Blut getränkt", schrieb ein britischer Offizier während des Anglo-Afghanischen Krieges 1919 über den Hochgebirgspass. Im 4. Jahrhundert vor Christus fiel etwa Alexander von Makedonien auf seinem größenwahnsinnigen Welteroberungszug in Gandhara ein, das er auf grausame Art unterwarf.
So wechselhaft setzt sich die Geschichte fort: 303 vor Christus traten die Makedonier Gandhara gegen 500 Elefanten an die buddhistische Maurya-Dynastie ab, bevor der Reihe nach die Graeco-Baktrier, die Saken und die Indo-Parther einfielen, die später den Kushanas, einem Steppenvolk aus Zentralasien, unterlagen. Die Kushanas förderten den Buddhismus im großen Stil und erweiterten das Reich westwärts bis nach Bengalen.
Es folgte eine rund 500 Jahre währende kulturelle Glanzzeit, geprägt von kosmopolitischer Weltoffenheit. Gandhara galt als "Land des Friedens".
Durch den Aufbau eines für Gandhara typischen buddhistischen Klosterhofs macht die Ausstellung ein grundlegendes Element der frühen indischen Weltanschauung erfahrbar. Indem Ausstellungsbesucher und -Besucherinnen die runde Form des Stupas, des halbkugelförmigen Grabdenkmals, im Uhrzeigersinn umkreisen, spiegelt sich in dieser Bewegung die immerwährende Wandlung und der zeitliche Fluss der Welt. Auf gleiche Weise wurde später auch das Kultbild des Buddha umkreist. Noch war die im griechischen und iranischen Raum weit verbreitete Vorstellung eines frontal aufgestellten Götterbildes, gar in monumentalen Ausmaßen, fremd. Es ist sicher kein Zufall, dass der Übergang von der herkömmlichen Lehm- und Ziegelarchitektur zum monumentalen Steinbau zeitlich mit der Einführung des staatlich sanktionierten und institutionalisierten Buddhismus unter dem Maurya-König Ashoka ihren Anfang nahm.
Die Künstler trotzten dem scharfen Abgrenzungscharakter des Steins und verzichteten sogar ganz auf die Darstellung des Buddha. Lieber deuteten sie ihn symbolisch an, etwa durch einen leeren Thron oder Fußabdrücke. Mit dem Zusammentreffen der iranisch-hellenistischen und der indischen Welt entstanden dann die ersten Buddhabilder.
Der Synkretismus Gandharas lässt sich auch an der Geschichte der Göttin Hariti ablesen. Sie ist nicht nur Muttergöttin, sondern auch Beschützerin der Städte und Glücksbringerin; Funktionen, die von der griechischen Schicksalsgöttin Tyche herzuleiten sind. Der Legende nach stand sie freilich für viel mehr. Unersättlich in ihrer Begierde und furchtbar in ihrer zerstörerischen Kraft, verschlang sie massenhaft Säuglinge. Unter den Brahmanen wurde sie dämonisiert. Erst mit der Konversion zum Buddhismus wendete sie sich sozusagen von ihren alten Lastern ab.
Bemerkenswerterweise vollzog sich diese Entwicklung zu einer Zeit, in der - wenn man dem Zeitzeugen Bardesanes (circa 200 nach Christus) Glauben schenkt - die Frauen der herrschenden Schicht des Kushana-Reichs beachtliche Freiheiten hatten. Ihm zufolge kleideten sie sich in Männergewänder, scherten sich nicht um Keuschheit und wurden von ihren Ehemännern als Herrinnen angesehen. Zeugen womöglich die diversen dionysischen Szenen, die in der Ausstellung zu sehen sind, von solchen Sitten?
In der Ausstellung begegnet man einer gezähmten, madonnahaft-lieblichen Hariti. Nur in einem der Standbilder sind noch ihre Stoßzähne zu sehen, wobei nicht belegt ist, ob es sich hierbei tatsächlich um Hariti handelt. Nur wenig ist von der einst Furchterregenden übrig geblieben - wenig von ihrer Macht und wenig von ihrer Herrlichkeit.
Die Darstellungen des Buddha hingegen wurden unter den Kushana-Herrschern immer größer und omnipotent. Die berühmtesten wie auch monumentalsten dieser Buddhafiguren waren die im afghanischen Bamyan. Seit ihrer Sprengung durch die Taliban in 2001 kommen aus dem Gebiet des ehemaligen Gandharas nur noch Terror- und Kriegsmeldungen. Und im unberührten Swat-Tal, der Heimat der schönen Göttin am Eingang des Ausstellungsparcours, verboten die Taliban im Januar dieses Jahres die Schulbildung für Mädchen, 300 Mädchenschulen bleiben geschlossen, 175 sind zerstört.
Bis 10. August 2009, Martin-Gropius-Bau Berlin, Katalog 29 €
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