Buch über Linke-Szene im Köln der 70er: Alternativ, links, radikal, autonom

Die Nähe zum Gegenstand ist Stärke und Schwäche zugleich: Oral History zur linken Szene im Köln der 70er Jahre.

Besetzer auf dem Stollwerck-Hof

Köln, 1980: Stollwerck-Besetzung, die Sonne scheint. Foto: imago / Sven Simon

Die Freude war nicht nur „klammheimlich“. Es wurde kräftig gefeiert. Statt des sonst üblichen Kölsch bestellten die Gäste im rappelvollen „Exil“ Sekt ohne Ende. So viel, dass der Vorrat nicht reichte. Der Gemüsehändler von gegenüber, der wie stets donnerstags in der Szenekneipe am Kleinen Griechenmarkt/Ecke Großer Griechenmarkt mit Freunden Skat spielte, holte dreimal neue Kisten aus seinem Laden. Auch im „Roxy“ an der Maastricher Straße und in der „Kneipe ohne Namen“ in der Weyerstraße war die Stimmung prächtig. Das linksradikale Köln begoss die Ermordung von Siegfried Buback.

Die Episode vom 7. April 1977 ist keine, auf die Rainer Schmidt stolz ist. Sicher würde er „den damaligen Vorgang heute anders bewerten“, sagt er. „Es war aber einfach so.“ Politisch sozialisiert im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS), hielt Schmidt in den siebziger Jahren das Fähnchen des Kommunistischen Bunds in Köln hoch.

Der KB war eigentlich ein norddeutsches Produkt. Aber was es anderswo gab, gab es selbstverständlich auch in der Domstadt. Manches kleiner, anderes größer. Heute ist Schmidt 68 Jahre alt und Oberstudienrat in Rente. Die einstigen Revolutionäre sind in die Jahre gekommen.

Im bundesweiten Ranking der linksradikalen „Scenen“, so schreibt der StadtRevue-Redakteur Felix Klopotek, nehme Köln heutzutage etwa die Rolle ein, die der HSV in der Bundesliga spielt: In grauer Vorzeit mal ganz vorne, kämpft man jetzt gegen die Bedeutungslosigkeit. Die „graue Vorzeit“, das waren die siebziger und zu einem gewissen Teil auch noch die achtziger Jahre.

Der wilde Streik bei Ford 1973, das Biermann-Konzert in der Kölner Sporthalle 1976 oder die Stollwerck-Besetzung 1980 – Ereignisse, die manch Dabeigewesenen immer noch ins Schwärmen geraten lassen. Dass vor drei Jahrzehnten nicht Berlin, sondern Köln die Hauptstadt der besetzten Häuser war – wer käme da heute noch drauf?

Ein Buch wie ein Pflasterstein

Aber Vorsicht vor falscher Nostalgie, vor dem konservativen Reflex: Früher war alles besser. War es das wirklich? Die linke und alternative Szene, die im Zuge der Aufspaltung der antiautoritären Studentenbewegung nach 1968 in Köln entstand, war bunt, groß und vielfältig. Doch die diversen Spektren, die sich darunter subsumieren lassen, waren auch disparat, bisweilen destruktiv. Reformisten, Revisionisten, K-Gruppen, Chaoten, Militante, Spontis und Autonome hatten nicht viel mehr gemein als ihre mehr oder weniger starke Ablehnung des bestehenden Systems.

R. Schmidt, A. Schulz, P. von Schwind (Hg.): „Die Stadt, das Land, die Welt verändern! Die 70er/80er Jahre in Köln – alternativ, links, radikal, autonom“. Kiepenheuer & Witsch, 628 S., 29,99 Euro

Ein Erlebnis ist Peter Will, der seinerzeit mit ein paar Sponti-Genossen einen kleinen Buchladen in der Nähe der Universität betrieb, bis heute in Erinnerung. Will las gerade mit spöttischer Stimme einem Freund aus dem „Zentralorgan“ irgendeiner der zahlreichen K-Gruppen vor, als ihn ein Kunde anzischte: „Nach der Revolution werden Leute wie du als Erste erschossen!“ Das hatte der ernst gemeint.

Wills Erinnerung findet sich in einem Buch, das die bewegten Jahre wieder aufleben lässt – in all ihren spannenden, absurden wie tragischen Facetten. 628 Seiten dick und schwer wie ein Pflasterstein ist das bei Kiepenheuer & Witsch erschienene Kompendium. Unter dem nicht unbescheidenen Titel „Die Stadt, das Land, die Welt verändern!“ berichten insgesamt 125 Aktivistinnen und Aktivisten von einst von ihren Erfahrungen in linksradikalen, sozialistischen, sozialdemokratischen, moskautreuen, maoistischen, trotzkistischen, feministischen, anarchistischen und grünen Kontexten der alternativen Bewegung in Köln.

Das Spektrum reicht von Kölns Ex-DGB-Chef Wolfgang Uellenberg-van Dawen über den langjährigen DKP-Vorsitzenden Steffen Lehndorff und den Autonomen-Vordenker Detlef Hartmann bis zum Ex-RAF-Mitglied Stefan Wisniewski. „Es ist eine Art Oral-History-Projekt“, sagt der Altlinke Rainer Schmidt, der das Buch gemeinsam mit dem Bürgerinitiativler Pui von Schwind und der Grünen-Mitgründerin Anne Schulz realisiert hat.

„Wir wollten die Geschichtsschreibung nicht denen überlassen, die politisch woanders stehen“, sagt Schmidt. Mehr als fünf Jahre haben sie an ihrem „Werkzeugkasten für emanzipatorische Gegenwartsbewältigung“ gearbeitet. Einige der Autoren, wie der Kabarettist Heinrich Pachl, haben die Veröffentlichung nicht mehr erlebt.

Weltrevolution und Verkehrsberuhigung

Zu besichtigen ist ein interessantes Panoptikum. Keine Initiative fehlt: vom Kölner Komitee gegen Isolationshaft, dessen Geschichte deren Mitgründerin Christiane Ensslin – Schwester von Gudrun – aufgeschrieben hat, über die Chile-Solidarität und die Nippeser Baggerwehr bis zur heute noch bestehenden Sozialistischen Selbsthilfe Köln. Die alternativ-karnevalstische Stunksitzung und die Freizeitkicker der Bunten Liga haben ebenfalls ihren Platz in dem Geschichtsprojekt gefunden. Die linke Szene in Köln war stets auch ein Gemischtwarenladen.

Mit dem gleichen Enthusiasmus wie für die Weltrevolution wurde für die Verkehrsberuhigung im Agnesviertel gestritten. Während die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend „die Zusammenführung aller demokratischen und sozialistischen Kräfte gegen das Großkapital“ propagierte, kämpfte die Bürgerinitiative Südliche Altstadt für einen Bauspielplatz. Womit sie erfolgreicher war. Der „Baui“-Friedenspark ist nicht die einzige Hinterlassenschaft der Kölner Alternativbewegung. Auch das NS-Dokumentationszentrum im EL-DE-Haus, der ehemaligen Kölner Gestapo-Zentrale, und Bürgerzentren wie die Alte Feuerwache würde es ohne sie nicht geben.

In den Zeitzeugenberichten dokumentieren sich historische Brüche und Kontinuitäten, aber auch ein äußerst unterschiedliches Reflexionsvermögen. „Wie war es möglich, dass wir als überzeugte Antifaschisten Verbrechen von Stalin, Mao oder Pol Pot verharmlost hatten?“, fragt der frühere KPD/AO-Funktionär Jürgen Crummenerl. Eine überzeugende Antwort kann er nicht geben. Andere jedoch stellen sich nicht einmal die Frage.

Selbstverliebtheit und Selbstzufriedenheit

Die Stärke dieser Art von Geschichtsaufarbeitung ist eben gleichzeitig ihre Schwäche: die mangelnde Distanz zum eigenen Tun. Denn der Blick der Protagonisten von damals ist bisweilen äußerst selektiv und oft verklärend. Einige flüchten sich in die alte unpersönliche Funktionärssprache, andere verlieren sich in Anekdoten. Köln hat einen Hang zur Selbstverliebtheit und Selbstzufriedenheit. Das gilt selbst für jene, deren Anspruch es war oder ist, die Stadt am Rhein zu verändern.

Allerdings hat manch Geschichte eine erstaunliche Aktualität. Zum Beispiel die von Rolf Henke, den es 1969 von Westberlin nach Köln verschlug. Der war damals überzeugter Maoist und Raubdrucker. Mit einer einfachen Bogenmaschine für 300 D-Mark fing alles an. Was so an linker Theoriebildung en vogue war, befand sich in seinem Sortiment, auch wenn‘s illegal war. Und Henke druckte Flugblätter für alle möglichen Gruppen. Mit den Jahren wurden seine Maschinen größer, die Aufträge auch – bald kamen sie nicht mehr nur aus der Szene, sondern von der Spar-Kette oder von Baumärkten. 1979 ging Henke zurück nach Westberlin, samt seiner Rotationsdruckerei. Pünktlich zum Start der taz.

„In der Linken – in Köln vor allem – wurde nach meiner Expansion über mich gelästert“, erinnert er sich. „Na ja, das war mal ein Linker.“ „Der ist reich geworden an uns.“ „Der ist heute Millionär.“ Das sei über ihn gesagt worden. Das will Henke so nicht stehen lassen: „Nur der dritte Satz ist vollständig richtig.“ Die Berliner Auflage der taz wird bis heute bei ihm gedruckt. Aber nur noch bis Ende des Jahres. Denn Henke Pressedruck schließt. Dann endet auch diese Geschichte.

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