Buch über Gentrifizierung in Hamburg: Kampfgala statt Pflastersteine

Gentrifizierung auf Hanseatisch: Vor über einem Jahr wurde das Gängeviertel im Zentrum Hamburgs besetzt, das hatte Folgen. Ein Buch von Christoph Twickel resümiert.

Kulturkampf-Marketing: Protest-Schild im Hamburger Gängeviertel . Bild: dpa

HAMBURG taz | Es ist gerade einmal zwei Monate her, da begingen die Aktivisten des Gängeviertels in Hamburg mit einem rauschenden Fest den ersten Jahrestag ihres Projekts. Die Besetzung der zwölf historischen Gebäude mitten in der City durch Künstler und nicht politisch organisierte Kader hatte am 22. August 2009 bundesweit für Furore gesorgt. Sie brachte in der Folge die schwarz-grüne Landesregierung zum Umdenken in Sachen Stadtentwicklung und hat zu einer Politik der offenen Ohren im Umgang mit den örtlichen Kulturschaffenden geführt.

So schien es zumindest bis vor Kurzem. Denn nach dem Rücktritt des Ersten Bürgermeisters Ole von Beust und seiner Kultursenatorin trat am 25. August dieses Jahres auch ein neuer Mann für Kultur sein Amt an. Reinhard Stuth (CDU) machte sich umgehend in seinem Ressort mit der Brechstange an die Umsetzung eines neuen Sparprogramms des Senats. Er dekretierte die Schließung des Altonaer Museums, beschloss Kürzungen bei den öffentlichen Bücherhallen sowie die Verringerung des Etats für das Schauspielhaus Hamburg um 1,2 Millionen Euro.

Wer die bürgerlichen Feuilletons verfolgt, weiß, was für ein Aufreger das nicht nur in Hamburg ist. Auch wer die Internetseite des Gängeviertels öffnet, findet jetzt an erster Stelle einen Solidaritätsaufruf des renommierten Theaters, an dem früher Claus Peymann und Peter Zadek inszenierten: "Wir sind das Schauspielhaus - Sie auch!"

Immer seltener ist seither in Hamburg von Gentrifizierung die Rede, das Thema Kulturförderung dagegen treibt viele um. Was ist geschehen? Werfen wir einen Blick zurück auf das letzte Jahr, in dem im Windschatten der Gängeviertel-Besetzung verschiedene Hamburger Initiativen, die der Kampf gegen steigende Mieten einte, die Grenzen der örtlichen Wahrnehmung überschritten.

Christoph Twickel hat diesen Herbst mit seinem Buch "Gentrifidingsbums oder Eine Stadt für alle" eine erste umfassende Rückschau vorgelegt. Als Mitinitiator des Manifests "Not in Our Name, Marke Hamburg" und Aktivist der Kampagne gegen die Ansiedlung von Ikea in der innerstädtischen Großen Bergstraße gehört der Journalist zum inneren Kreis des Hamburger Initiativen-Netzwerks "Recht auf Stadt".

Anti-Ikea-Protest und Manifest repräsentieren auch die beiden Pole der Bewegung. Denn es ging von Anfang an nicht nur darum, den Ausverkauf städtischer Grundstücke an private Investoren und die Verschiebung ärmerer Bevölkerungsschichten in städtische Randgebiete anzuprangern. Ebenso wichtig war die Zurückweisung der unterstützenden Rolle, die Kreativen im Prozess der Aufwertung innerstädtischer Viertel und bei der Vermarktung des Standorts Hamburg zugedacht wird.

Gentrifizierung, heißt es einleitend bei Twickel, sei "eine Maschinerie, die die Teilhabe an der Stadt über Geld und Herkunft regelt". Weiter konstatiert er: "An ihren Schalthebeln mögen die politische Klasse, die Bauwirtschaft, Immobilienfonds, Banken und Investoren sitzen. Doch sie macht eben auch Leute zu Rädchen der ökonomischen Aufwertung, die das gar nicht im Sinn haben und ihr am Ende auch nicht standhalten." Twickel sieht, ganz in der Tradition der Gentrifizierungstheorie, als die sogenannten Pioniere der Gentrifizierung "die Studierenden, die Künstler, die Bohemiens und die Alternativkultur" selbst. Die Bewegung gegen diese Indienstnahme, die der Autor in Hamburg im Verlauf des letzten Jahres beobachtet hat, schildert er "aus einer und für eine Grassroots-Perspektive".

Twickel sieht die Entwicklung um das Gängeviertel dafür als beispielhaft. Dass ein "Hoffest" mit Ausstellungen in eine geduldete Besetzung der historischen Gebäude in der City mündete, lässt sich nicht allein durch prominente Unterstützer wie den Maler Daniel Richter erklären, (der kürzlich mit einigem Tamtam die Hansestadt Richtung Berlin verließ).

Die kreative Metropole

Twickel beschreibt, wie die Stadt nach anfänglichem Eiertanz in der schwarz-grünen Koalition das Gelände vom Investor zurückkaufte und sich seither um eine Übereinkunft mit den Besetzern bemüht. Das Höchstbieterverfahren, nach dem städtische Gebäude in den letzten Jahren unter den Hammer kamen, ist nun Geschichte. In Zukunft soll bei städtischen Verkäufen das beste Bau- oder Sanierungskonzept bei der Vergabe entscheidend sein.

Wie konnte die kleine Aktion im Gängeviertel derart viel ins Rollen bringen? Nun, zunächst einmal hätten, schreibt Twickel, die Gängeviertel-Aktivisten den Senat geschickt bei seinem Anspruch gepackt, Hamburg solle "als kreative Metropole mit Weitsicht wachsen". Zudem habe "das sanfte Auftreten die Gängeviertel-Besetzung anschlussfähig gemacht für ein bürgerliches Spektrum". Anstatt mit Pflastersteinen zu werfen, führten die Besetzer Interessierte in großen Gruppen durch die Gebäude. Der Gängeviertel-Sprecher "trägt einen ordentlichen Kurzhaarschnitt, eine Windjacke und wählt seine Worte sorgfältig" aus.

Forscher Twickel hat auch mit Marion Walther und Christine Ebeling von der Gängeviertel-Initiative gesprochen, über ihre Medienstrategien, die klarmachten, "was hier für ein städtebauliches Massaker geplant" wird. Ihr Werben um Verständnis für den Erhalt des historischen Ensembles und günstigen Wohn- und Arbeitsraum in der Stadt, bei Stadtplanern und Museumbetreibern.

Die Gängeviertel-Leute hatten sich also von Anfang an um Koalitionäre bemüht. Und ihre Rechnung ging auf. Schnell hatte die Besetzung bis tief in die CDU hinein Sympathien, ging es doch auch darum, ein Stück "authentisches Hamburg" zu bewahren. Dies wurde gegen eine weltweit stromlinienförmige Innenstadtgestaltung in Stellung gebracht.

Doch grassrootiger wird es in Twickels Recherche nicht mehr. Zwei zentrale Kapitel widmen sich den beiden Stoßrichtungen der Bewegung Kommerz und Kultur - allerdings aus der Vogelperspektive.

Im ersten Kapitel widmet er sich der Darstellung dessen, wie sich das Paradigma von der unternehmerisch agierenden Stadt entwickelt hat - "Vom Unternehmen Stadt zur Image-City". Die ersten Konzepte stammen noch vom SPD-geführten Senat aus dem Jahr 1983. Sie setzen sich unter der konservativ-rechten Koalition Beusts mit der Schill-Partei fort und reichen bis zur heutigen schwarz-grünen Koalition. Twickels Geschichte riecht ein wenig nach dem großen Masterplan, der die Stadtentwicklung steuert. Nur, wieso bitte, hat Hamburg mehr als 25 Jahre gebraucht, um Klaus von Dohnanyis Konzept von der Stadt als Unternehmen halbwegs umzusetzen und es dann auch noch - zumindest in Teilen - gründlich gegen die Wand zu fahren?

Derzeit müssen leer stehende Immobilien der Hafencity von der Stadt mit Steuergeldern angemietet werden, weil entsprechende Verträge mit den Investoren es so vorsehen und die Nachfrage nicht reicht. Dies fügt sich mit der im Sommer verkündeten Umkehr im Sozialwohnungsbau, der nun mehr gefördert werden soll, zum hochoffiziellen Schwanengesang auf die neoliberale Stadtentwicklung. Der Protest gegen Gentrifizierung hat mit solchen Teilerfolgen in Hamburg damit auch seinen Zenit überschritten.

Ambivalente Haltung

Anders sieht das aus beim Aspekt Kultur. "Künstler rein, Arme raus. Kultur als Standortfaktor", so sieht er das Verhältnis in Hamburg. Wie der US-amerikanische Soziologe Richard Floridas spricht Twickel von der Magnetkraft lebendiger kultureller Szenen, die für die Ansiedlung von Firmen und hoch qualifizierten Menschen auch für die Hamburger Politik eine große Bedeutung erlangt hat. Das Künstler- und-Musiker-Manifest "Not in Our Name, Marke Hamburg", das in "Gentrifidingsbums" noch einmal in Gänze nachzulesen ist, wendet sich vehement gegen einen solchen funktionalistischen Zugriff. Twickel gehörte zu den Autoren.

Mit dem Manifest wird jedoch auch eine ambivalente Haltung gegenüber staatlichen Zuwendungen für Künstler sichtbar. Denn während man sich auf der einen Seite empörte, gerade qua Mietpreisentwicklung der Nischen und Brachen in Hamburg beraubt zu werden, in denen eine auf sich gestellte Subkultur nur gedeihen könne, skandalisierte man auf der anderen eine "falsche", lediglich am Mainstream orientierte Verwendung von Geldern des Kulturetats oder den finanziell völlig aus dem Ruder gelaufenen Bau der Elbphilharmonie. Letztere wird inzwischen sogar von vielen Hochkulturfans nur noch als Ort des Protzes wahrgenommen. Deshalb und seiner Uneindeutigkeit wegen ist das Manifest wiederholt als Schützenhilfe für die Forderung gelesen worden, insgesamt und ungeachtet ihrer Ausrichtung die Kulturförderung der Hansestadt auszubauen.

Vor diesem Hintergrund wird allerdings der jetzige Schulterschluss von Opern- und Kneipensängern verständlich. Nicht allein in FAZ und Zeit und bei den Machern der betroffenen Institutionen träumt man angesichts der Kürzungen im Kulturetat von einer durchschlagenden Bürgerbewegung. In den Mails der Off-Kunst-Szene kursieren bereits Bilder, die das bekannte gelbe Ortsausgangsschild der Stuttgarter Proteste geringfügig verändert: "Stuth 21". Hamburgs Kultursenator als Chiffre eines künftigen Protests. Subkultur-Urgestein Rocko Schamoni plant eine Kampfgala für den Erhalt des Schauspielhauses. Im Moment sieht es so aus, als würde die Stadt die Geister, die sie durch die Beschwörung des Kreativstandorts Hamburg rief, nicht so schnell wieder los.

Christoph Twickel: "Gentrifidingsbums oder Eine Stadt für alle". Edition Nautilus, Hamburg 2010, 128 Seiten, 9,90 Euro

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