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Archiv-Artikel

auch angela merkel kann die eu-verfassung nicht mehr retten Brüsseler Luftblasensprech

Seit gestern ist klar: Auch Angela Merkel wird die Verfassung nicht mehr retten. Bei ihrem ersten Gipfelauftritt als Bundeskanzlerin wurde sie im Dezember hymnisch gefeiert. Die Union sei nun weiblich – ihr Name: Angela Merkel, jubelte nicht nur der österreichische Standard. Nach ihrer geschickten Vermittlung im europäischen Finanzstreit wurden der Neuen weitere Wunderdinge zugetraut – ein Weg aus der Verfassungskrise zum Beispiel. Und sie lächelte und nickte dazu.

Sechs Monate später klingt alles jedoch nun anders. Im Kanzleramt scheint man mittlerweile den politischen Fahrplan mit nüchternem Blick studiert zu haben. Das mit so vielen Vorschuss-Lorbeeren bedachte EU-Halbjahr unter deutscher Präsidentschaft beginnt am 1. Januar. Doch erst Mitte Mai wählt Frankreich einen neuen Staatspräsidenten, Holland ein neues Parlament. Aus diesen beiden Ländern aber müssen Vorschläge kommen, wie es mit der Verfassung weitergehen soll. Denn dort war vor einem Jahr der von allen Regierungschefs unterzeichnete Verfassungsvertrag in Volksabstimmungen abgelehnt worden.

Es ist unrealistisch zu glauben, dass die frisch gewählten niederländischen Volksvertreter oder die neue französische Staatspräsidentin schon am Tag nach der Wahl einen Lösungsvorschlag für die Krise aus dem Hut ziehen werden. Deshalb spricht die Kanzlerin neuerdings von einem winzigen Fenster der Möglichkeiten. Beliebt ist auch der Spruch, den Bürgern solle zusätzlich zum Verfassungsprozess ein Europa der Resultate präsentiert werden. Ihrem Ruf als kühl kalkulierende Naturwissenschaftlerin wird Merkel da nicht mehr gerecht. Schon nach einem halben Jahr im Amt scheint sie Gefallen zu finden am Brüsseler Luftblasensprech.

Ein konkretes Ergebnis immerhin konnte die Kanzlerin gestern ihren deutschen Fans präsentieren: Deutschland darf seine derzeit bei der Fußball-WM demonstrierten Gastgeber-Qualitäten kommenden März wieder unter Beweis stellen. Dann wird in Berlin der 50. Jahrestag der Römischen Verträge gefeiert. Mit Feuerwerk. Und Luftballons. Und noch mehr Luftblasensprech.

DANIELA WEINGÄRTNER