: Brüggemann/Birr vor Gericht - 68. Folge
■ „Kein Kunde hat gewonnen“ / War der Warentermin-Handel nur Betrug?
Genervt oder gelangweilt, jedenfalls zur Seite weggedreht sitzt Volker Brüggemann, ehemaliger Großsponsor des TuS-Walle, am 68. Prozeßtag auf der Anklagebank. Staatsanwalt Baumgarte ist davon überzeugt, daß sich die Anklage aus dem Jahre 1992 längst erwiesen hat: Bei über 100 AnlegerInnen hat Brüggemanns „Contracta“ mindestens 2 Mio. mit „Warentermingeschäften“ abkassiert.
Contracta-Telefonverkäufer Frank L. war gestern als Zeuge geladen. Als er 1988 bei Brüggemann angelernt wurde, habe er nicht gewußt, was „Warenterminhandel“ ist, sagt der abgebrochene Bäckerlehrling. Aus dem Telefonbuch habe er seine Opfer rausgesucht und mit horrenden Renditen gelockt - drei Jahre lang. „Können Sie sich an einen Kunden erinnern, der am Ende Geld gewonnen hat?“, fragt ihn der Staatsanwalt. „Nein“, sagt der Telefonverkäufer. Mit einer kleinen Taschenrechnung erklärt der Staatsanwalt, warum dies nicht überraschend ist: Brüggemann und Birr behalten 45 Prozent der Geldanlage der „Kunden“ als Provision ein. Wenn Brüggemann/Birr nur 55 Mark von 100 anlegten, müßten die Anlagen sagenhafte 80 Prozent Gewinn einbringen, wenn die AnlegerInnen wenigstens ihre 100 DM zurückbekommen wollen.
Längst könnte der Prozeß zu Ende sein, aber die Verteidiger stellen immer neue Anträge. Gestern wollten sie per Gutachten geklärt haben, daß es theoretisch doch möglich ist, daß ein Warentermin-Anleger Glück hat und Gewinn macht. Das Gericht soll zu der Frage einen Gutachter bestellen. Staatsanwalt Baumgarte reagierte scharf: Wenn durch solche Anträge der Eindruck erweckt werden soll, hier habe es sich um Geldanlagen und nicht um Betrug gehandelt, dann werde er Unterlagen verlesen, aus denen hervorgehe, daß Brüggemann einmal allein in einem Monat 120.000 Mark an Provisionen abkassiert habe.
Fast hätte es am Nachmittag noch einmal eine Überraschung gegeben: Ein anonymer Anrufer habe der Kripo erklärt, so berichtete der Staatsanwalt, daß TuS-Trainer Birr die graue Eminenz einer schräg gegenüber von der „Contracta“ residierenden Warentermin-Firma „Hanseatische Publikum“ sei - möglicherweise also einschlägig im Gewerbe weitergewirkt habe. Kurzfristig wurde Heiko K., der Geschäftsführer dieser anderen Firma, geladen. Auf dem Flur des Gerichtes begrüßt er Brüggemann/Birr und den Verteidiger Stoll per Handschlag, im Gerichtssaal kommt es zu Spannungen zwischen Birr und Brüggemann.
Verteidiger Stoll insistiert darauf, daß der Zeuge Heiko K. nicht umfassend befragt wird. Auf den ausdrücklichen Wink des Verteidigers, ob er die von einem „anonymen“ Anrufer gemachten Hinweise bestätigen könne, sagte Heiko K. schlicht: „Nein“.
Die Frage, ob die „Hanseatische Publikum“ auch mit Warentermin-Optionen handele, moniert Stoll. Auf die Frage des Staatsanwaltes, ob Heiko K. einmal bei Brüggemann/Birr als Telefonverkäufer angefangen habe, verweigerte der Zeuge die Aussage - aus Sorge, sich selbst zu belasten. K.W.
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