■ Brückenbau als Selbstzweck: Überbrücktes Italien
Andere Menschen, Völker, Nationen bauen Brücken, um Grenzen zu überwinden, um Kontinente zu verbinden, um Gefangene auszutauschen oder auch um Kriege ins Nachbarland zu tragen. Oft bauten sie Brücken aus schierer Lust, der Natur zu trotzen, öfter aber noch, um ihr etwas abzutrotzen; in jedem Falle hatten Brücken bei ihnen einen „überbrückenden“ Sinn.
Wir Italiener dagegen bauen Brücken, um Brücken zu bauen. Nicht als Brücken von einem Flußufer zum anderen, von Felszacke zu Felszacke oder vom Land zur Insel – nein: Für uns ist es ganz gleichgültig, wo die Brücke steht. Hauptsache, sie steht. In Deutschland soll einst die Eisenbahnstrecke so gelegt worden sein, damit jeder Abgeordnete seinen Bahnhof bekam, in Griechenland steuern heute noch Schiffe völlig unbewohnte Inselchen an, weil da in grauer Vorzeit mal ein VIP gelebt hat. In Italien hinterläßt jeder Senator und jeder bedeutende Administrator „seine“ Brücken. Wer durchs Land reist, wird sie allenthalben sehen: am dichtesten in Unteritalien und am allerdichtesten in Sizilien, aber auch in Lazium und Umbrien – Brücken über Brücken, die nirgendwo hinführen. Gehörte der Architekt zur genierlichen Sorte, hat er wenigstens auf einer Seite noch so etwas wie eine Auffahrtrampe aufschütten lassen, um den Eindruck zu erwecken, es werde noch mal irgendwann weitergeschüttet. Aber man sieht Brücken auch einfach so in der Landschaft stehen: davor und danach nichts. Oder es stehen sechs Pfeiler, von denen gerade mal zwei miteinander verbunden sind, und der Zahn der Zeit nagt bereits deutlich am Eisenbeton. Mitunter führt gar eine Autobahn auf der einen Seite bis zur Brücke – um dann an verfaulenden Brettern zu enden. Wir Italiener, genauer gesagt: unsere Vorvorfahren, die Römer, haben den Rundbogen als Trageelement erfunden. Das war ein solches Erfolgserlebnis, daß wir es unentwegt wiederholen müssen. Nur so läßt sich die Brückenmanie erklären. Zwar weisen auch Römerhäuser Bogen und Bögelchen zuhauf auf, doch so recht zur Geltung kommt der Bogen nur an Brücken. Da kann man geradezu schwelgen, romanisch-kreisrund oder gotisch spitz, barock verschnörkelt oder industriell mit Eisenträgern. Doch bei einigen Brücken haben wir die Methode geändert: Wir bauen sie nicht, sondern projektieren sie nur, wie die Brücke vom Festland nach Sizilien. Die gab es schon einmal, vor mehr als zweitausend Jahren. Damals hatte man Schiffe nebeneinander vertäut und Bretter darübergelegt, um die punischen Kampfelefanten aufs Festland überzusetzen. Danach baute man die „Brücke“ wieder ab. Es war wohl die einzige Brücke, die niemanden verewigen sollte. Sie war einfach eine Brücke. Mannino D'Alessandro
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