■ Britischer Premier Major will nur noch im Ziel ankommen: Lahmender Langstreckenläufer
Man gewöhnt sich dran: Ein Tory-Abgeordneter stirbt, und bei der Nachwahl sichert sich die Opposition den Sitz. Die Tory-Niederlage am Donnerstag war die 35. in Folge. Doch jetzt geht's ans Eingemachte: Nach der nächsten Nachwahl leitet John Major eine Minderheitsregierung. Hinzu kommt der Ärger mit den eigenen Hinterbänklern, die ihm in europäischen Fragen ständig Knüppel zwischen die Beine werfen.
Der Premierminister hat sich auf die Taktik eines lahmenden Langstreckenläufers verlegt: Er will nur noch im Ziel ankommen und hofft auf das nächste Rennen. Mit anderen Worten, er verhält sich möglichst still und geht jeder innerparteilichen Kontroverse aus dem Weg, um die Legislaturperiode zu überstehen und im Frühjahr 1997 wie Phönix aus der Asche aufzuerstehen. Mit Hilfe der neun unionistischen Abgeordneten aus Nordirland könnte er bis dahin auch mit einer Parlamentsminderheit über die Runden kommen.
Doch diesmal handelt es sich nicht um den „Halbzeit-Blues“ zwischen zwei Wahlen, mit dem jede Regierung zu kämpfen hat. Der Tory-Rückstand hält sich hartnäckig bei rund 30 Prozentpunkten, und die Labour Party fischt immer schamloser in Tory-Gewässern – von der Religion bis zur Wirtschaft. Um so erstaunlicher ist es, daß die Ratten, die das sinkende Tory-Schiff längst verlassen hatten, nun langsam wieder zurückkehren.
Im vorigen Monat vermeldete der Schatzmeister Spendeneinnahmen in Rekordhöhe, und die konservativen Zeitungen, die sich auf Major eingeschossen hatten, schlagen plötzlich mildere Töne an. Selbst bei Meinungsumfragen spricht man den Tories angesichts niedriger Inflation und exportorientierten Wachstums eine Kompetenz nicht mehr ab. So sehr Blair die Industrie mit konservativen Schlagworten auch umgarnen mag, sie wird ihn höchstens tolerieren. Allemal lieber ist ihr jedoch eine Tory-Regierung, die sie einschätzen und beeinflussen kann.
Diese Faktoren werden für einen Umschwung nicht ausreichen, weil die Tories vom Waffenschmuggel bis zur Wahlkreismanipulierung zu viele Skandale angehäuft haben. Doch eine Labour-Regierung unter Tony Blair wird nur ein Zwischenspiel bleiben: Ein Premierminister, dessen gesamtes Politikgebäude auf Verlogenheit basiert, hält sich höchstens eine Legislaturperiode. Ralf Sotscheck
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