: Briten müssen ohne Burger leben
■ Ein Industriezweig mit 40.000 Beschäftigten steht in England vor dem Ruin. Wohin mit elf Millionen Rindern?
Hühnchen ist ausverkauft. In den Geflügeltruhen britischer Supermärkte herrscht gähnende Leere. Auch Lamm und Hammel erfreuen sich steigender Beliebtheit. Rindfleisch ist dagegen trotz Schleuderpreisen praktisch unverkäuflich. Selbst McDonald's hat reagiert. Seit gestern gibt es keine Hamburger mehr – bis der Import von Rindfleisch organisiert ist.
Daran konnte auch die Versicherung der Londoner Kabinettsmitglieder nichts ändern, die am Wochenende erklärten, Rindfleisch sei weiterhin fester Bestandteil ihrer Ernährung. Ihre Glaubwürdigkeit in punkto Beef ist auf den Nullpunkt gesunken, haben doch die Minister das Problem von Anfang an ausnahmslos verharmlost.
Nun dämmert der Bevölkerung langsam, daß die Tory-Spitze das Risiko bewußt in Kauf genommen hat, um einen Industriezweig zu schützen, der stets großzügig in die Parteikasse einbezahlt hat. Nach dem Kollaps der gesamten Rindfleischindustrie wird die Regierung tief ins Steuersäckel greifen müssen. Der Gesamtschaden ist noch nicht absehbar. Das Pfund ist am Wochenende bereits um einen halben Pfennig gefallen.
Elf Millionen Rinder kann man nicht verbrennen
Sollten die Experten empfehlen, sämtliche 11,8 Millionen britische Rinder zu töten, würde der Sterling in den Keller gehen, die Inflation um eineinhalb Prozent ansteigen. Landwirtschaftsminister Douglas Hogg sagte gestern, er werde sich gegen eine solche Empfehlung nicht sperren, meinte jedoch, man sollte die Maßnahmen auf die vier Millionen Kühe begrenzen, die älter als 30 Monate sind.
Realistisch ist diese Option jedoch nicht. Anfang der neunziger Jahre, als bis zu tausend kranke Rinder pro Woche getötet wurden, kamen die Tierkrematorien mit der Verbrennung nicht mehr nach. Die Kadaver mußten in Kühlwagen und in Schuppen gelagert werden. Die Tiere zu beerdigen, ist keine Alternative: Man hat festgestellt, daß der Erreger auch zwei Jahre später noch aktiv ist. Hinzu kommt, daß er wahrscheinlich auch im Boden steckt: Dem Mikrobiologen Harash Narang ist es gelungen, den Erreger im Urin nachzuweisen.
Die britische Rindfleischindustrie steht vor dem Aus: 40.000 BritInnen arbeiten in diesem Bereich, 250.000 Menschen sind indirekt betroffen. Würde man alle britischen Rinder töten, wäre die Insel auch auf den Import von Molkereiprodukten angewiesen. Die Financial Times schätzt, daß der Gesamtschaden umgerechnet 50 Milliarden Mark betragen könnte. Dabei sind die möglichen Schadensersatzforderungen der Angehörigen von CJS-Opfern noch gar nicht eingerechnet. Ralf Sotscheck
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