Brisantes Gutachten: Geschmäckle im Hähnchenstall
Im Landkreis Oldenburg soll eine neue Mastanlage für 84.000 Hähnchen entstehen. Doch jetzt werfen örtliche Initiativen den Behörden vor, die Genehmigung sei rechtswidrig.
GROSSENKNETEN taz | Dass sich im südoldenburgischen Raum Widerstand regt, wenn ein Maststall gebaut werden soll, ist nicht mehr ungewöhnlich. In Großenkneten im Landkreis Oldenburg bahnt sich aber eine grundsätzlichere Auseinandersetzung an: Eine örtliche Initiative bezeichnet die Genehmigung einer neuen Mastanlage für 84.000 Hähnchen als rechtswidrig – und wirft den Behörden vor, Einwände „vorsätzlich zu ignorieren“ und generell zu lasch mit den erforderlichen Gutachten umzugehen.
Im Dezember hatte das Bauordnungsamt des Landkreises den Bau der Anlage unweit der Autobahn 29 genehmigt. Das agrarindustrie-kritische Bündnis Mensch-Umwelt-Tier (MUT) legte Widerspruch ein: Im Gutachten der Landwirtschaftskammer seien die zu erwartenden Geruchsemissionswerte des Betriebes in unzulässiger Weise heruntergerechnet und die Geruchsbelastung durch vor Ort bereits bestehende Ställe ausgeklammert worden.
Außerdem sollen grundlegende Brandschutzbelange, wie etwa Möglichkeiten zur Rettung der Tiere im Brandfall, unberücksichtigt geblieben sein. Eine „Rettung aller Tiere“ sei, entgegen entsprechender Vorschriften, „nicht einmal theoretisch möglich“, schreibt das Bündnis.
Von „dubiosen Praktiken“ beim Genehmigungsverfahren spricht der MUT-Vorsitzende Wilfried Papenhusen – und das nicht zum ersten Mal. Auch in zurückliegenden Gutachten will das Bündnis handwerkliche Fehler ausgemacht haben. „Da wird nicht seriös gearbeitet“, sagt Papenhusen. Der Leiter des Bauordnungsamtes des Landkreises, Peter Nieslony, weist dies zurück: Man sei „ja fachkundig und selbstverständlich in der Lage, Gutachten zu lesen“. Aufgrund des Widerspruchs des Bündnisses werde man das vorliegende Material nun noch einmal zeitnah prüfen.
Für Unruhe sorgen
Es handele sich um das erste örtliche Bauvorhaben dieser Größenordnung, das seit 2010 genehmigt worden sei, sagt Papenhusen. Seinerzeit hätten das Bündnis und andere Initiativen damit begonnen, verstärkt „für Unruhe zu sorgen“ und bei Veranstaltungen im Rahmen der Bürgerbeteiligung, die für Anlagen ab 40.000 Tiere vorgeschrieben ist, aufzutreten. Auch im Fall der Mastanlage in Großenkneten habe das Bündnis seine Bedenken vorgetragen und in öffentlichen Gesprächsrunden auf die ihrer Ansicht nach eklatanten Mängel in den Gutachten hingewiesen – die Argumente seien aber vom Tisch gewischt worden. „Man hat uns nach Hause geschickt wie dumme Jungs“, sagt Papenhusen.
Auf einer solchen Veranstaltung soll sich laut Papenhusen ein Mitarbeiter des Bauordnungsamtes dahingehend geäußert haben, dass man dort ja „keine andere Chance habe, als den Gutachten der Kammer zu glauben“. Diese Aussage mag Nieslony „weder bestätigen noch bezweifeln“, stellt aber fest, dass man bislang keinen Anlass gehabt habe, diese Gutachten anzuzweifeln – die Landwirtschaftskammer gelte durchaus als sachverständig. Sollten aufgrund der neuerlichen Prüfung „schwere Bedenken aufkommen“, könnte das Amt einen Obergutachter einschalten, sagt Nieslony. Der würde vom Gewerbeaufsichtsamt Hildesheim gestellt, das niedersachsenweit dafür zuständig ist. In letzter Konsequenz hätte das Bündnis auch die Möglichkeit, rechtlich gegen die Baugenehmigung vorzugehen.
Die Auseinandersetzung um den geplanten Stall in Großenkneten könnte richtungsweisend sein. Denn für MUT geht es nicht nur um diese eine Anlage, sondern um das grundlegende Prozedere der Genehmigungsverfahren und um die Frage, „wie unabhängig und neutral diese Gutachten sind“, sagt Papenhusen. Schließlich ist die Lobby der Intensivtierhalter in dieser Region sehr stark. Im Landkreis Oldenburg werden bereits jetzt mehr als sieben Millionen Hähnchen und Legehennen, eine Million Puten und hunderttausende Schweine und Rinder gehalten – bei nicht einmal 130.000 Einwohnern. Wenn aber „Gefälligkeitsgutachten die rechtliche Basis für neue Anlagen“ darstellen, dann graue ihm, sagt Papenhusen.
Nicht mehr unter sich
Immerhin, einen Erfolg können die Widerständler schon jetzt verbuchen. Die Zeit, in der „die Entscheidungsträger mehr oder weniger unter sich waren und Baugenehmigungen durchgewunken“ hätten, sei laut Papenhusen nun vorbei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen