Briefe an den Präsidenten (1) : Ein Hinkelstein in der Brandung der Axiome des Bösen
Am 2.11. ist Präsidentschaftswahl in den USA. Bush oder Kerry? Für viele US-amerikanische Künstler ist diese Frage zur Schicksalsfrage geworden. Das Junge Theater Bremen wird vom 27.10. bis zum 3.11. unter dem Titel „mad(e) in Amerika“ in der Schwankhalle im Rahmen des Festivals „Theater für alle“ amerikanische und deutsche Künstler präsentieren, die sich mit Politik und Kultur in den USA beschäftigen. Vorab haben das Junge Theater und die taz Leute aus Kultur und Wirtschaft gebeten, an den amtierenden, zukünftigen oder idealen US-Präsidenten einen Brief zu schreiben. Die Serie startet mit Rolf Sauerbier, amtierender Vorsitzende des Bremer Presse-Clubs, ehemals PR-Chef von Kraft Foods.
Dear Mr. President, lieber Schorsch Dabbelju,
da behaupten doch böswillige Kritiker, Sie seien der wahre Münchhausen der Neuzeit, ein Präsident, dessen Weißes Kartenhaus auf einem Berg voller Lügen aufgebaut sei. Die Rede ist von der Kriegslüge über die Steuerlüge, von der Versicherungslüge bis zur Unternehmenslüge. Pfui! So viel vorab: Wenn das auch nur annähernd stimmen sollte, kann ich als alter Haudegen der Zunft der Presseversprecher nur meinen Respekt zollen. Denn zu Stringenz und Kontinuität eines vernetzten Lügengewebes gehört zwingend ein hohes Maß an Intellekt. Die kleinste Gedächtnislücke oder selbst sprachliche Aussetzer sind schon von tödlicher Wirkung. Und genau das trauen Ihnen ja, lieber Dabbelju, Ihre Kritiker eben nicht zu! Womit schon der Beweis erbracht ist, wer hier wirklich lügt, verdreht und verzerrt.
Sie sind ein Guter, der nicht nur an Gott, nein, auch an irdische Werte fest glaubt, ein Hinkelstein in der Brandung der Axiome des Bösen. Mit einer geschickten, langfristig angelegten, strategisch klugen Außenpolitik haben Sie es verstanden, Talibans und al-Quaida im zugigen Bergland Afghanistans zusammen einzubetten, nur um sie auf einen Schlag gemeinsam orchestrieren zu können. Klar, dass es dabei auch hier und da zivile Opfer zu beklagen gab, aber so ist nun mal eben Krieg. Klar, dass man Terroristen nicht wie Kriegsverbrecher behandeln kann. Schließlich haben sie auch nie offiziell einen Krieg erklärt, diese diplomatischen Tölpel. Und welch eine feinsinnige List, sie im Land eines Ihrer ärgsten Feinde zu kasernieren. So fidel kann nur eine gut durchdachte Strategie sein!
Keine Frage, dass Saddam, der alte Kumpel von Ronald, ’ne Masse Vernichtungswaffen besaß. War er doch auf fast allen Bildern, die wir alle auf den ersten Blix gesehen haben, mit der Waffe in der Hand zu sehen! Und es ist doch nur folgerichtig, den irgendwann entwaffneten, befreiten Irak in drei Zonen aufzuteilen: bleifrei, normal und super!
Und wie Sie so unerschrocken, gradlinig und ohne irgendwelche Abwegigkeiten selbst mit früheren Freunden und Geschäftspartnern umgehen, die sich schuldig gemacht haben! Wie zum Beispiel die bin Ladens, die Husseins dieser Welt. Alle Achtung! Da haben Sie es der Welt und Ihrem hoch verehrten Papa aber gezeigt! (Gerd, pass auf!)
Bleiben Sie so, wie Sie sind, mein lieber Dabbelju. Und zeigen Sie Amerika und dem Rest der Welt Ihre wahre Größe. Mein Rat: Treten Sie am 2.11. 2004 still und leise zurück. Egal, wie die Wahl ausgeht. Was kümmern Sie schon schnöde Zahlen und Ergebnisse! Ihr Rücktritt, ein kleiner Schritt für Sie, ein großer für die Welt!
Ihr Rolf Sauerbier
P.S.: Falls Sie Schwierigkeiten mit der Addition der noch verbleibenden Tage im Amt haben sollten, bin ich Ihnen gern beim Ausstanzen des Kalenders oder auch bei der Handauszählung behilflich.