Brief eines ratlosen Lesers: „Sieben Pfund angefressen“
■ Lieber Aufbau-Taschenbuchverlag,
nun liegt er also vor, der dritte Band der Autoren- und Verlegerbriefe (1960-1969), nach bester Verlagstradition versehen mit hilfreichen Anmerkungen, editorischer Notiz, einem Personenregister und diesmal garantiert nicht in unlizensierter Überauflage. Was hätte das bei der Veröffentlichung der eigenen Betriebskorrespondenz auch für einen Sinn? In alphabetischer Folge kommen die Autoren zu Wort, Biermann vor Bloch und Jentzsch vor Johnson, ganz so, wie die Akten im „Aufbau-Archiv“ abgelegt sind. Auch die Antworten aus dem Verlag sind überliefert. Da haben die Herausgeber Elmar Faber und Carsten Wurm viele fremde Briefe gelesen, und wozu das Ganze?
Zugegeben, die Korrespondenz des Aufbau-Verlags ist wahrscheinlich interessanter als, sagen wir, der vergleichbare Briefwechsel der Frankfurter Immobilienfirma Lunkewitz. Aber, lieber Aufbau-Taschenbuchverlag, was kann ich bei der Nachricht von Günter Kunerts Heuschnupfen-Leiden (das vermutlich auch in Band IV der Briefe eine wichtige Rolle spielen wird), was kann ich anderes tun, als mein aufrichtiges Mitleid auszudrücken? Und was bleibt gegen die Urlaubsreisen der Dichter ins sozialistische Ausland einzuwenden? Wer sich, wie Rainer Kirsch, im Februar 1966 fragt: „Was ist Wahrheit? und was ist Kunst?, schwierige Fragen, wie es den Anschein hat“, der hat sich den „Urlaub in Gagra“, wo immer es auch liegen mag, redlich verdient. Wenn der Leser nebenbei von Sarah Kirsch erfährt, sie habe sich „schon sieben Pfund angefressen ohne Harm“, wird das Bild vom Dichterglück auf anschauliche Weise abgerundet. Warum auch, fragt sich der Leser weiter, sollte Brigitte Reimann die Einladung zweier sibirischer Kolchosen zur Dichterlesung ausschlagen („hier ist wirklich die Neue Welt“)?
Zum Glück wird man mit diesen Fragen nicht allein gelassen. Im Nachwort von Elmar Faber, dem langjährigen Verlagsleiter von „Aufbau“, heißt es: „Zeitspiegel wurden Briefsammlungen häufig genannt. Hier haben wir wieder eins der flimmernden Objekte, in die man neugierig hineinsieht und die man – wenn man Glück hat – ein wenig klüger aus der Hand legt.“ Hmm. Wie kann man sich das vorstellen? Da schauen Sie, Herr Faber, also neugierig in den Zeitspiegel, und sehen – ihren eigenen Verlag. Dann beginnt es zu flimmern. Und wenn Sie Glück haben, sind Sie danach ein wenig klüger. Aber wir, Herr Faber, die Leser, was ist mit uns? Mit der Bitte um eine schnelle Antwort verbleibt ihr Peter Walther
„Das letzte Wort hat der Minister“. Autoren und Verlegerbriefe 1960-69, hrsg. v. Elmar Faber und Carsten Wurm, Aufbau Taschenbuchverlag, Berlin 1994, 424 Seiten, 19,90 DM
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