: Bremens gelbe Post zieht ins Grüne
■ Ab heute werden Pakete im GVZ sortiert / Post: Fortschritt, BUND: ökologischer Rückschritt
Für die Bremer Post beginnt heute ein neues Zeitalter. Bundesweit werden nach einer einheitlichen bundesweiten Versandstrategie die Brief- und Paketzentralen von den Innenstädten auf die grüne Wiese umziehen. In Bremen ist heute als erste Abteilung der Versand von Paketen aus dem Bremer Umland innerhalb der BRD dran. Er wird vom Postamt 5 am Bahnhof in das neugebaute Frachtzentrum im Güterverkehrszentrum (GVZ) ins Obervieland verlagert. Für die Post ist das der logische Schritt zu größerer Rationalisierung und besserem Service – Umwelt- und Verkehrsexperten dagegen bemängeln den Umzug als Umsteigen der Post von der Schiene auf die Straße.
Das Bremer Frachtzentrum ist eines von 33 Zentren, die derzeit mit einem Investitionsvolumen von etwa vier Milliarden Mark überall in Deutschland aus dem Boden gestampft werden. Bis zum 1. Juli 1995 soll die Paketpost für das Bremer Zentrum zentral vom GVZ aus gesteuert werden. Das bedeutet: Täglich werden 68.000 Pakete verschickt und 72.000 empfangen, die hier gesammelt oder verteilt werden müssen. Das Bremer Frachtpostzentrum soll dann das Gebiet zwischen holländischer Grenze und Elbe bedienen: 21 „Zustellbasen“ sollen 471 Zustellbezirke und damit über 2,8 Millionen Menschen mit Paketen versorgen. Die Schalterbeamten mit gelbem Paketzettel und handschriftlichen Adressen sollen verschwinden: In der neuen Anlage werden die Sendungen nur noch einen maschinenlesbaren „Identcode“ und einen „Leitcode“ verpaßt bekommen und mit menschlichen Händen weniger zu tun haben als mit vollautomatischen Sortieranlagen.
Etwa 100 Millionen Mark hat das Bremer Zentrum gekostet, und es soll der Post einen gewaltigen Rationalisierungs-Schub bringen: 620 Menschen finden in der neuen Zentrale Arbeit, die genaue Zahl der Jobs, die in Bremen verloren gehen, kann Post-Sprecher Karl-Heinz Antelmann nicht beziffern. „Bundesweit fallen durch die Reform aber etwa 6.000 Arbeitsplätze weg.“ Denn die Brief-Post muß sparen: Durch die Postreform in eine AG umgewandelt und von der einstmals lukrativen Quersubventionierung durch die Telefon-Post abgenabelt, schreibt sie rote Zahlen und muß in die schwarzen gelangen. „Wir müssen als Unternehmen am Markt bestehen“, meint Antelmann.
Das ist nicht so einfach, denn die private Konkurrenz von Kurierdiensten sitzt der ehemaligen Bundesbehörde im Nacken. Zwar sind die großen Gelben mit 670 Millionen Sendungen im Jahr und einem Anteil von 27 Prozent Marktführer auf dem Paketsektor, meint Antelmann, aber bei Preisen, Service und Verläßlichkeit „sind wir nicht so gut wie die Konkurrenz“: In den 80er Jahren stagnierten die Umsätze, und auch jetzt wachsen die Privaten schneller als die Post. Die Umstrukturierung soll das ändern: „Bis zu einem Radius von 550 Kilometern soll das Paket bereits am nächsten Tag beim Empfänger sein“, versprechen die Paketboten. Und all das auch noch ökologisch: „Wo immer es ohne Qualitätseinbußen möglich ist, bevorzugen wir die Schiene“, heißt es – trotzdem hat man für die Zustellung erstmal über 8.700 Mercedes-Brummis geordert. Im Frachtzentrum kommen die Pakete für Entfernungen über etwa 250 Kilometer auf die Schiene, die LKW-Fahrten würden effektiver, weil ausgelasteter. Antelmann: „Wenn das System steht, fahren nicht weniger LKW als das jetzt der Fall ist.“
Das allerdings bestreitet Peter Müller, Verkehrsexperte beim Bremer BUND. „Die Verlagerung auf die grüne Wiese ist genau das Gegenteil von Stadtökologie und geht weg von der Schiene.“ Das Zentrum sei auf LKW-Verkehr ausgelegt, meint Müller. Zwar gebe es Schienenanschluß, doch der Transport zu Städten wie Oldenburg, die jetzt noch von der Bahn beliefert würden, werde dann völlig auf der Straße brummen. Müller: „Die ökologische Bilanz ist verheerend. Wir rechnen mit täglich 300 bis 500 zusätzlichen LKW-Fahrten, die natürlich auch eine weitere Belastung der Bevölkerung in der Neustadt bedeuten. Vom Flächenfraß der Anlage, die fünfmal so groß ist wie das Gebäude am Bahnhof, ganz zu schweigen.“
Für Müller steht und fällt das System mit der Preisrelation von Schiene und Straße. „Die Post muß als Privatunternehmen hart kalkulieren und geht natürlich dahin, wo es am billigsten ist. Wenn sich also der Trend fortsetzt, daß die Straße immer billiger und die Bahn immer teurer wird, kann die Verlegung auf die Frachtzentren der Einstieg in den reinen LKW-Versand sein.“ Der BUND-Experte fordert dagegen ein „dezentrales Transportkonzept“, bei dem auch die Bahn in die Pflicht genommen wird, Nebenstrecken nicht stillzulegen, sondern zu aktivieren, um die LKW-Touren so kurz wie möglich zu halten. Auch der bislang noch größte Vorteil der Schiene, nämlich am Stau vorbeifahren zu können, werde sich mit dem forcierten Neubau von Autobahnen im Bundesverkehrswegeplan verringern. „Das System der Frachtzentren jedenfalls ist auf LKW zugeschnitten und braucht die Schiene nicht.“
bpo
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