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Bremens Grüne und das Bundesteilhabegesetz„Das schränkt Teilhabe ein“

Mit dem geplanten Teilhabegesetz der Bundesregierung würde die Behindertenrechtskonvention ad absurdum geführt. Die Grünen wollen es jetzt per Bundesrat stoppen.

Auch Betroffene sind nicht einverstanden mit dem Bundesteilhabegesetz: Demo vorm Potsdamer Landtag Foto: Patrick Pleul/ dpa
Interview von Benno Schirrmeister

taz: Frau Kappert-Gonther, lässt sich von Bremen aus das Bundesteilhabegesetz aufhalten?

Kirsten Kappert-Gonther: Bremen kann darauf im Bundesrat einwirken und das ist auch dringend nötig: Der Entwurf zum Bundesteilhabegesetz muss überarbeitet werden, damit es dem Ziel gerecht wird, Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe allen Menschen mit Behinderung zu ermöglichen. Da sind wir uns mit den Grünen in anderen Landesregierungen einig.

Ihr Bürgerschaftsantrag attestiert dem Entwurf der Bundesregierung immerhin „positive Ansätze“. Meinen Sie das ernst?

Im Interview: Kirsten Kappert-Gonther

49, ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und stellvertretende Vorsitzende der Grünen Bürgerschaftsfraktion.

Schon. Es muss darum gehen, dass Menschen mit Behinderung an unserer Gesellschaft teilhaben, in ihr mitwirken. Die Schaffung von Alternativen zur Werkstatt für Behinderte und die gesetzliche Verankerung des Budgets für Arbeit sind positive Ansätze, die im Entwurf benannt werden. Und der Entwurf sieht das richtige Ziel vor: Wir müssen von einem Fürsorgegesetz zu einem echten Teilhaberecht kommen.

Bloß gelingt das dem Entwurf nicht?

Leider. Das Ziel wird nicht erreicht. Wir müssen allen Menschen gleichen Zugang zu unserer Gesellschaft ermöglichen. Wir sind durch die UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet, diese Teilhabe endlich zu schaffen, das selbstbestimmte Leben in allen Bereichen zu ermöglichen. Aber der Entwurf macht das nicht. Im Gegenteil: Das Gesetz würde Teilhabe eher einschränken.

Inwiefern?

Schon allein dadurch, dass die Kriterien, die man erfüllen muss, um leistungsberechtigt zu sein, hochgeschraubt werden.

Hochgeschraubt?

Laut diesem Entwurf müssen mindestens fünf von neun Bereichen im Alltagsleben eingeschränkt sein, damit der Betreffende leistungsberechtigt ist. Das heißt: Wer blind ist, könnte rausfallen. Da verfährt die Bundesregierung nach dem Motto: ‚Ist ja nur beim Sehen eingeschränkt‘.

Was wäre der Gegenvorschlag?Die Gruppe der aktuell Leistungsberechtigten darf nicht eingeschränkt werden. Das Gesetz muss klarstellen, dass Menschen mit Behinderung nicht zusätzlich auch noch von der Gesellschaft behindert werden. Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen besser zurechtkommen und weniger Barrieren erleben, als bislang.

Woher rührt diese restriktive Herangehensweise?

Kritiker vermuten finanzielle Motive: An vielen Stellen wirkt dieser Entwurf nicht wie ein Teilhabe- sondern eher wie ein Spargesetz.

Dafür spricht auch, dass in den ersten Entwürfen die Kosten der Assistenten noch komplett auf die Assistierten abgewälzt und auch jetzt noch alle vermögensbildenden Leistungen und Sparguthaben zur Finanzierung der lebensnotwendigen Hilfen herangezogen werden sollen.

So ist es. Aber immerhin darf das Vermögen von Lebenspartnern mittlerweile nicht mehr herangezogen werden.

Sie fordern auch, dass Menschen nicht gezwungen werden dürfen, in besonderen Wohnformen zu leben: Ist das tatsächlich der Plan der Bundesregierung?

Es wäre jedenfalls der Effekt dieses Gesetzes.

Wieso?

Das Gesetz stellt das Ökonomische in den Vordergrund. Wenn es finanziell günstiger ist, dass ein Mensch mit Behinderung in einer Einrichtung lebt, dann kann er nach diesem Gesetzentwurf gezwungen werden, in eine Behinderten-WG oder sogar ins Heim zu ziehen. Das finde ich falsch, hier muss die Wahlfreiheit erhalten bleiben. Wer weiter in seiner Wohnung leben möchte und dafür Assistenzleistungen benötigt, muss diese bekommen.

Die Assistenz ermöglicht ja tatsächlich erst individuelle Teilhabe wie den Kino-Besuch.

Das gilt für alle Bereiche. Das genau besagt die UN-Behindertenrechtskonvention: Menschen mit Behinderung soll alles so offen stehen, wie anderen Menschen auch. Und dazu gehört Freizeit, genauso wie Arbeit und Wohnen. Keinem anderen Menschen wird ja vorgeschrieben, ob er in einer eigenen Wohnung leben darf oder in eine WG ziehen muss.

Außer Verbrechern. Die kommen in den Knast.

Aber behinderte Menschen sind keine Verbrecher: Es muss selbstverständlich auch für behinderte Menschen gelten, dass sie ihre Wohn- und Lebenssituation selbst bestimmen dürfen. Und das genau müsste ein Teilhabegesetz festschreiben – statt es zu erschweren.

Aber würde das nicht viel Geld kosten?

Doch, selbstverständlich würde das Geld kosten. Aber das darf in diesem Fall ja nicht die zentrale Rolle spielen: Wir sind der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet. Deutschland hat sie unterzeichnet, sie ist seit 2009 hier in Kraft. Die Behindertenrechtskonvention ist ein Weltgesetz: Das ist genauso verbindlich wie die Menschenrechtskonvention. Die einzuhalten verursacht auch Kosten. Es verursacht ja auch Kosten, wenn wir den freien Zugang zur Gesundheitsversorgung sicherstellen, und es verursacht Kosten, wenn wir das Recht auf Bildung verwirklichen. Das muss auch für gleiche Rechte und gesellschaftliche Teilhabe für alle Menschen gelten. Das ist der Schlüssel für eine solidarische Gesellschaft. Ich halte das für eine Notwendigkeit.

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