■ Braver Öko-Optimismus schadet der Umweltbewegung. Eine Antwort auf die Thesen von Maxeiner und Miersch: Dolchstoß ins grüne Auge
Die freie Wirtschaft ist so frei wie noch nie. Hemmungen, die ihr auferlegt waren – von der bloßen Anwesenheit des Gespenstes Weltkommunismus und von den heimischen Gegenmächten Sozialdemokratie und Gewerkschaften –, sind weggefallen. Auf der Tagesordnung steht die buchstäblich unmenschliche, nämlich menschenleere Wirtschaft. Auf der Skala der Ängste regiert die Angst um den Job ganz obenauf und drückt die „grüne“ Angst vor Vergiftung des Globus unter ferner liefen.
Der Kapitalismus lacht sich ins globale Fäustchen. Er streift zugleich mit den „roten“ Fesseln – soziale Gegenkräfte aller Art – auch die „grünen“ Fesseln ab – ökologische Gegenkräfte aller Art. Nicht nur die sozialen Kräfte sind so schwach wie nie in diesem verendenden Jahrhundert, auch die ökologischen Kräfte sind ermattet.
Wird Rot schwach, wird auch Grün schwach; das ist der neue rot- grüne Zusammenhang. Zur Demontage rot-grüner Bündnisse bedarf es erst gar nicht peinlicher Personalien wie Joschka Fischer und Gerhard Schröder – die Gigantenkräfte des realen Kapitals besorgen das schon selber.
Zum realen Prozeß gibt's aber immer auch ideologische Begleitmusik. Zum Tschingderassabumbum von der Überflüssigkeit sozialistischer Gegenbewegung gesellt sich das Wumstrara von der Übertriebenheit der ökologischen Krankjammerer.
Im historischen Augenblick, da roter und grüner Widerstand so nötig ist wie noch nie – und auch aussichtsreich auf mittlere Frist; so wie's jetzt ist, bleibt's ja nicht –, genau in diesem Augenblick stoßen zwei Überläufer aus dem ökologischen Lager ihre intelligent geschliffenen Dolche von hinten durch die Brust ins Auge der übermüdeten Ökologiebewegung.
Dirk Maxeiner und Michael Miersch (M&M) sind geschickte Anwender des Altwitzes vom ausgeborgten und zerbrochenen Krug: Erstens wurde er gar nicht ausgeborgt; zweitens war er schon zerbrochen, als er ausgeborgt wurde; drittens war er ganz, als er zurückgegeben wurde. Erstens ist die Ökologiebewegung eine maßlose Übertreibung; zweitens sind ihre berechtigten Forderungen ohnehin schon verwirklicht; und drittens geht die Naturzerstörung hemmungslos weiter – aber draußen in der Dritten Welt, während bei uns daheim alles in Butter ist.
Radikale Umweltschützer klettern auf den Hochkamin von Ciba- Geigy. Unnötig, zensieren M&M. Denn im Rhein leben, verglichen mit 1970, schon wieder doppelt so viele Fischarten und fünfmal so viele Formen von Kleingetier, und von Schwermetallen keine nachweisliche Spur mehr. Der FCKW- Ausstieg wurde „sensationell schnell beschlossen“; und das Ozonloch wird sich wieder schließen; und der Schnelle Brüter wird Vergnügungspark; und Wasser und Luft sind sauberer; und der deutsche Wald stirbt nicht; und und und.
Mich erinnern M&M an die einst häufigen Generaldirektoren, die argumentierten (jetzt haben sie's nicht mehr nötig): Ich bin ja sehr fürs Soziale, einst war der Sozialismus wunderbar, aber jetzt ist alles erreicht, jetzt ist er unnötig.
Schmarrn. Soziale und ökologische Offensiven sind so nötig wie noch nie, und exökologische Anti- Ökologen, die im ökologischen Tarnanzug die Entwaffnung der ohnehin dezimierten Rot-grün-Divisionen betreiben – sind Schafe im Wolfspelz.
Denn ein Schaf ist, wer da meint, wie M&M: Wenn die Ciba- Geigy-Konzernherren den Greenpeacern Freßpakete hinaufschicken auf den besetzten Hochkamin, oder wenn der Springer-Verlag einen Goldpreis an „Grüne“ verleiht – dann ist die Unnötigkeit der Ökologie bündig bewiesen.
Bewiesen ist vielmehr: der Zynismus der Mächtigen und immer Mächtigeren. Ciba plus Geigy fusionierten zu Novartis, vernichteten Zehntausende Arbeitsplätze und dürfen hoffen, im allgemeinen Zittern um Jobs ihre Kosten für Umweltschutz verringern zu können, ohne daß es arg auffällt.
Zum Zynismus der Mächtigen gegenüber den Öko-Grapplern mischt sich freilich bei intelligenten Mächtigen ein fortdauernder PR-Instinkt: Kapitalismus, sei er noch so brutal, braucht dennoch, oder deswegen, Imagepflege. Freßpakete und Goldene Kamera – macht sich doch gut: Wir sind offen, wir haben Humor, wir sind doch selber grün, Leute!
Das ist der Schein. Die Realität ist, und auch die sehen intelligente Mächtige, daß man Macht, auch die größte, nicht zu weit treiben darf, ohne sich selbst zu gefährden. Wie viele Zehntausende dürfen sie noch um den Job bringen? Wieviel Naturvernichtung dürfen sie noch betreiben, ohne daß die Empörung ihnen über den Kopf wächst? Und ohne daß sich der naturvernichtende Kapitalismus selber den Zauberteppich Natur unter den Füßen wegzaubert? Auch bis dahin reicht die Intelligenz der Mächtigen: Wenn „keiner“ mehr Arbeit hat, kann auch „niemand“ ihnen was abkaufen; wenn der „ganze Globus“ kaputt ist, ist auch Schluß mit dem Kapitalismus.
Von diesem wahren Problem aller Probleme merken M&M anscheinend gar nix. Sie schreiben einen Kriminalroman ohne Täter. Who dunnit? Wer war es, der die bisherigen, großen, aber zu geringen Erfolge im Umweltschutz zustande brachte?
M&M drehen die bisherigen Erfolge der Umweltschützer zu einem Argument gegen die Umweltschützer. Statt zu begreifen, daß genau diese – die Sturen, die Irrationalen, die Katastrophenverkünder – es waren, die dem Kapitalismus, der von selber gar nichts getan hätte, das „bißchen“ Umweltschutz aufzwangen! Weil nämlich Ideen, wenn sie die Massen ergreifen, zur materiellen Gewalt werden.
Die Umweltbewegung ist eine Massenbewegung und eine gewaltlose noch dazu – eine so schöne Sache zu denunzieren ist arg. Aber nicht schlimm. Eine Jahrhundertbewegung muß sich nicht scheren um falsch spielende Begleitmusik.
Wer war der Täter? Die Umweltschützer. Wer wird weiterhin Täter sein müssen? Die Umweltschützer. Sie müssen strikt gewaltlos bleiben, sie müssen sich vervielfachen, das Wichtigste liegt noch vor ihnen. Sie hinzuführen zu Bravheit, Einsicht, läppischem M&M-Optimismus – ist zum Glück hoffnungslos. Die bleiben schon, wie sie sind; die werden immer mehr so, wie sie schon sind.
Die wirklich großen, ungelösten Probleme – Atom, Gen, Transitverkehr, Automobilisierung der Dritten Welt – kommen ja bei M&M gar nicht vor. Jetzt ist's mir aber schon fad, auf sie loszugehen. Sie sind brave Kerle. So ungefähr wie der Handke. Günther Nenning
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