: Braunkohle-Kumpel besetzen Parteibüros
■ Potsdam will mit billigerem und umweltfreundlicherem Erdgas heizen
Potsdam (taz) – In der Brandenburger Landeshauptstadt soll das neue Heizkraftwerk mit russischem Erdgas und nicht mit heimischer Braunkohle betrieben werden. Der klaren Entscheidung der Stadtverordnetenversammlung für die billigere und umweltfreundlichere Variante mit 64 gegen 32 Stimmen vom Mittwoch abend folgten wütende Proteste von rund 1.500 Bergleuten. Die Kumpel, die bereits seit dem Nachmittag vor dem Magistrat gegen weiteren Arbeitsplatzabbau in der Lausitz protestiert hatten, besetzten nach der Entscheidung die SPD- und CDU-Parteizentralen sowie eine Potsdamer Brücke. Ministerpräsident Stolpe, der an der entscheidenden Sitzung der Stadtverordneten teilgenommen hatte, um sie von der Kohlelösung zu überzeugen, kündigte vor den Demonstranten an, die Genehmigung des Potsdamer Heizwerkes „sehr sorgfältig“ überprüfen zu lassen. „Wir werden notfalls auch das Instrument des Kartellrechtes einsetzen“, meinte Stolpe unter lautem Beifall der Kumpel.
Die Fronten waren schon im Vorfeld der Entscheidung verhärtet. Die Landesregierung unterstützte aus wirtschaftspolitischen und wahlkampftaktischen Gründen die Kohle-Variante. „Die Entscheidung hat Signalwirkung“, meinte Wirtschaftsminister Walter Hirche noch am Mittwoch. Allerdings lehnte er im gleichen Atemzug eine dauerhafte Subventionierung des teureren Kohlestromes ab. In Brandenburg gibt es insgesamt 32 Anträge auf Errichtung neuer lokaler Heizkraftwerke. Der Entscheidung der Landeshauptstadt wurde daher ein großer Signalwert zugemessen. Stolpe appellierte an die Solidarität der Stadtverordneten, brandenburgische Arbeitsplätze zu erhalten. „Entscheiden Sie mit dem Herzen für das Land Brandenburg“, flehte der Ministerpräsident seine in der Landeshauptstadt regierenden Parteifreunde theatralisch an.
Demgegenüber verwiesen die Potsdamer Lokalpolitiker von SPD und CDU darauf, daß das Angebot der Lausitzer Bergbau AG, die aus einem zentralen Heizkraftwerk liefern will, über dem Preis der Gas-Variante liege, nämlich um vier Pfennig je Wärmeeinheit. Dies sei den Potsdamern eben nicht zuzumuten. PDS und FDP votierten indessen für die Braunkohle. Es gelte, heimische Arbeitsplätze zu sichern, argumentierten die Kohle-Befürworter. Zudem sei eine Erhöhung des Gaspreises abzusehen. Die Potsdamer wurden am Mittwoch von der Landesregierung in einen Konflikt hineingezogen, der eigentlich nicht ihrer ist und den sie ohnehin allein nicht lösen können. Über 30.000 Arbeitsplätze sind in der Lausitz bereits abgebaut worden, und der Kohleabsatz droht weiter zu sinken. Konzepte für ein Umstrukturierung und alternative Industrieansiedlungen liegen nicht vor.
Verständlich ist die Wut der Kumpel, denen es um ihre Existenz geht. Nach der Niederlage in Potsdam werden sie nun wie die Kollegen von der Ruhr stärker Druck auf die Landesregierung und den Bund machen, um ihre Zukunft zu sichern. Die Potsdamer Parteizentralen bleiben weiter besetzt. Anja Sprogies
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