piwik no script img

■ Bosniens Muslimanen wollen SicherheitsgarantienDiktatfrieden festigt die Tragödie

Die Versammlung muslimanischer Repräsentanten in Sarajevo hat sich den Realitäten gebeugt, auch wenn sie den Genfer Plan zur Aufteilung Bosniens so nicht akzeptieren möchte. Denn die ursprüngliche Position, die lange nach Kriegsbeginn bis in diesen Sommer hinein aufrechterhalten wurde, ist in diesem Entschluß aufgegeben. Das Festhalten an einem bosnisch-herzegowinischen Staat, in dem alle Nationalitäten in einem Bürgerstaat zusammenleben, war ja schon über den Vance-Owen-Plan brüchig geworden. Gestern mußte die muslimanische Versammlung jedoch prinzipiell dem Diktat der Dreiteilung aus Genf zustimmen. Dem Parlament wird ebenso nichts anderes übrigbleiben, als diesen Beschluß zu bestätigen.

Die gestellte Bedingung, die mehrheitlich von Muslimanen bewohnten und von der Gegenseite eroberten Gebiete sollten zurückgegeben werden, ist zwar verständlich, sie wird sich aber unter den gegebenen Bedingungen am Verhandlungstisch schwerlich durchsetzen lassen. So scheint sie nicht mehr als eine Dispositionsmasse für Nachverhandlungen zu sein, bei denen der sichere Zugang zum Meer und die Definition von Sicherheitsgarantien angesichts des geplanten Einsatzes von Nato-Truppen gefordert werden. Und es wird Zeit gewonnen, um die eigene militärische Offensive, solange es vor dem Winter noch geht, fortzusetzen. Es darf nämlich nicht übersehen werden, daß die bosnische Armee (Armija BiH) einen Großteil Zentralbosniens von den kroatischen Nationalisten zurückerobert hat.

Dennoch bleiben die Grundkonstanten bestehen. Der kommende Winter ist, falls Restbosnien und Sarajevo weiter belagert bleiben, für die Bevölkerung nicht mehr zu ertragen. Die Grundlinien des Diktatfriedens müssen unter diesen Umständen auch von jenen akzeptiert werden, die weiterhin an der multikulturellen Identität Bosniens festhalten wollen – und das, obwohl sie zu Recht fürchten müssen, daß bei einer Akzeptierung der Aufteilung die aus der serbischen und der kroatischen Zone vertriebenen Muslimanen gemeinsam mit anderen radikalen Gruppen verstärkt Druck auf die immer noch in Restbosnien lebenden Serben und Kroaten ausüben werden. Denn je mehr die Hoffnung auf Rückkehr in ihre eigene Heimat schwindet, desto mehr werden sich die muslimanischen Vertriebenen zum Ferment eines militanten muslimanischen Nationalismus formieren. Deshalb wäre die Rückgabe der mehrheitlich von Muslimanen bewohnten und von der Gegenseite eroberten Gebiete durchaus auch im Interesse derjenigen, die soviel als möglich von der bosnischen Identität retten wollen. Erich Rathfelder

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen