Bosnien: Russland stellt sich quer
In Bosnien und Herzegowina gehen Putins Vertreter auf Distanz zur Politik der internationalen Gemeinschaft. Das kann zu einer Krise ähnlich wie im Kosovo führen.
SPLIT taz Wenn Diplomaten nach langwierigen Verhandlungen auseinandergehen, haben sie nur selten lächelnde Gesichter. Was in Bosnien und Herzegowina dieser Tage geschieht, treibt vor allem europäischen Diplomaten tiefe Sorgenfalten auf die Stirn. Denn erstmals seit dem Friedensschluss von Dayton im Jahr 1995 gab es einen offenen Krach, der auch in Bosnien zu einer Krise ähnlich wie im Kosovo führen kann.
Russland legte sich am Mittwoch in dem wichtigsten Gremium der internationalen Gemeinschaft, die den Wiederaufbau und das Friedensabkommen von Dayton überwachen soll, öffentlich quer. Erstmals wird in einer Erklärung des Friedensimplementierungsrates, in dem über 50 Staaten und internationale Organisationen wie die UNO und die OSZE mitwirken, von russischer Seite öffentlich Dissens angemeldet. Die Russen sind mit den Maßnahmen des vom Rat gewählten Hohen Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft in Bosnien, Miroslav Lajcak, nicht einverstanden. Der hatte am 19. Oktober die komplizierten Entscheidungsmechanismen in dem "Rat der Minister", der bosnischen Regierung, vereinfachen wollen. Denn Bosnien muss in nächster Zeit wichtige Weichen für die Annäherung an die EU stellen, will es nicht noch weiter hinter die anderen Länder des westlichen Balkan zurückfallen. Mit dem alten System geht das nicht.
Aus Protest gegen die Verordnung Lajcaks reichte am Donnerstag der Ministerpräsident von Bosnien und Herzegowina, der Serbe Nikola Spiric, seinen Rücktritt ein. Er stand seit Januar an der Spitze der Regierung und war der erste Serbe in diesem Amt seit dem Ende des Bosnienkrieges 1995.
Bereits zuvor hatte Lajcaks Anordnung Proteste der meisten Vertreter der serbischen Volksgruppe hervorgerufen. Zehntausende Serben verlangten unter mitgeführten Bildern des russischen Präsidenten Wladimir Putin am vergangenen Montag in Banja Luka die Rücknahme der Maßnahmen. Und das Parlament der serbisch dominierten Teilrepublik in Bosnien, der Republika Srpska, drohte am Dienstag mit dem Rückzug aller Minister und Mitarbeiter aus den gesamtstaatlichen Institutionen.
Dass die serbische Seite die mit den anderen Volksgruppen, den Kroaten und Bosniaken, geteilten gesamtstaatlichen Institutionen blockiert und eifersüchtig darauf achtet, dass der Gesamtstaat Bosnien und Herzegowina schwach bleibt, ist nicht neu. Denn noch immer wollen die nationalistischen Kräfte der Serben auch in Belgrad Bosnien territorial aufteilen und in Zukunft die serbische Teilrepublik mit Serbien vereinigen, wenn Kosovo für Serbien verloren geht.
Alarmierend ist jedoch, dass Russland sich offen auf die serbische Seite stellt. Und das, obwohl die Maßnahmen Lajcaks keineswegs weitreichend sind. Im Grunde wird nur der Praxis ein Riegel vorgeschoben, mit Abwesenheit der Minister einer der Volksgruppen Beschlüsse des Rates der Minister zu blockieren, die ohnehin noch vom Parlament bestätigt werden müssen. Es steckt also mehr dahinter.
Das jedenfalls schlussfolgern westliche diplomatische Quellen. Russland könne sogar die Tätigkeit der internationalen Institutionen in Bosnien gänzlich blockieren und damit nach dem Kosovo eine zweite Balkanfront eröffnen, meinen sie. Die grüne Europaabgeordnete und Militärexpertin Angelika Beer, die als eine der wenigen EU-PolitikerInnen die Region jährlich mehrmals besucht, befürchtet, Russland könne bei der Sitzung des UN-Sicherheitsrates am 21. November in New York bei der dann notwendigen Verlängerung des Mandats der europäischen Eufor-Friedenstruppen in Bosnien und Herzegowina ein Veto einlegen.
Dies, so kann man schließen, würde dann den Westen, also die USA und die EU, vor die Entscheidung stellen, ohne Mandat der UNO in Bosnien zu bleiben oder aber abzuziehen. Schon in diesem Frühjahr erklärte der damalige Hohe Repräsentant Christian Schwarz-Schilling in einem Hintergrundgespräch gegenüber der taz, Russland wolle auch das Büro des Hohen Repräsentanten abschaffen. Gäbe es aber kein internationales Militär und keine internationale zivile Institution mehr im Lande, würden die Nationalitätenkonflikte in Bosnien und Herzegowina wieder aufflammen, vor allem dann, wenn der Kosovokonflikt ungelöst bleibt, befürchten viele Beobachter. Bosnien, so Schwarz-Schilling, könne sich sogar noch zu einem weitreichenderen Konflikt entwickeln, als es das Kosovo schon jetzt ist.
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