Bornierte Mittelschichten: KOMMENTAR VON ULRIKE WINKELMANN

Wie stehen laut neuer Pisa-Studie die Chancen eines Arbeiterkindes, in Deutschland zum Abitur zu kommen? Fünf- oder sechsmal schlechter als die eines Mittelschichtkindes gleicher Intelligenz? Die Antwort ist fast egal: Bevor nicht alle Kinder die gleiche Chance haben, dürfen sich Lehrer und Schulpolitiker ob in Bayern oder Bremen nicht setzen. Und wenn die Voraussetzungen schon vor der Grundschule geschaffen werden, muss Schulpolitik eben der ersten Klasse vorgreifen.

Von Borniertheit zeugen daher Stimmen etwa aus der Berliner CDU, wonach das Problem die vielen nicht gymnasiumstauglichen Kinder auf dem Gymnasium seien. Sie bedienen mit dieser Argumentation nur den Wunsch der deutschen Mittelschichten nach Abgrenzung vom Arbeiter- und Migrantenmilieu. Nichts ist den schwarz und auch rot und grün wählenden Mamis und Papis wichtiger, als ihre Kinder vom schnoddrig radebrechenden undeutschen Nachwuchs fernzuhalten.

Die Hauptschule sehen solche sorgenden Eltern als geeignete Abstellecke für Kinder, denen ihrer Meinung nach der Wille zur Leistung fehlt. Na ja, schieben sie nach: Bei dem Elternhaus, da kann man nichts machen. So bleibt der Besuch von Bildungsanstalten mit Aufstiegsversprechen denen vorbehalten, die möglicherweise an ihrem Grips zweifeln müssten, wenn es tatsächlich zu den fairen Leistungstests käme, von denen dieselbe Klientel bloß schwadroniert.

Deutschland sortiert seine Neunjährigen danach, ob sie einmal studieren werden oder nicht. Und wundert sich dann, dass zum Kriterium für diese Auswahl Abstammung und nicht Schlauheit wird. Bürgern anderer Industriestaaten ist das kaum zu erläutern. Doch eine Erklärung müsste ungefähr so lauten: Deutschland hat noch nicht verstanden, dass es Einwanderer gibt. Dass diese als intelligente Arbeitskräfte und Bürger dringend gebraucht werden, weshalb sie einen Anspruch auf Spracherwerb und Bildung haben.

Weil sie aber egoistisch und kurzsichtig sind, haben Deutschlands Mittelschichten beschlossen, dass nur ihre Kinder nach oben dürfen. Und die Politiker helfen ihnen dabei. Denn sie wissen, wer sie wählen darf und wird.