■ Das Portrait: Boris Vian
Dandy mit Kamera Foto: Wagenbach-Verlag
Der Künstler konnte keines seiner Talente ruhen lassen: Boris Vian war dieses, jenes und alles zugleich. Maler, Dichter, Ingenieur, Filmemacher, Redakteur, Pataphysiker und Jazz-Trompeter. So wollte es der Rhythmus der Pariser Boheme. Daß Vian am 23. Juni 1959, gerade 39jährig, während der Probeaufführung des Films „Ich werde auf eure Gräber spucken“ starb, paßt ins Bild vom nervös-existentialistischen Allround-Genie. Die Popkultur frißt ihre Hedonisten- Kinder schon in den Fifties, lange vor toten Kobains und pillengeschädigten Presleys: Zwei Jahre nach Vian stirbt der Maler Yves Klein dem Lebensstil entsprechend an seinem zweiten Herzinfarkt.
Bereits 1938 gründete der am 10. März 1920 geborene Trompeter von Saint-Germain sein erstes Amateurjazzorchester, die ersten Hundert Sonette folgen 1941, kurz nach der Hochzeit mit Michelle Léglise. Daneben entstehen ein Traktat über die „Physiochemie metallurgischer Produkte“ und diverse Filmszenarien. Bis zum Einzug der Amerikaner in Paris bleiben die Aktivitäten allerdings verborgen. Danach zählt die Bigband, in der neben Vian auch Claude Léon spielt, zu den gefragtesten Orchestern der Stadt. Er wird als Trompeter im „Tabou“-Club angestellt, wo er mit Raymond Queneau Sketche für Juliette Greco schreibt. Zur gleichen Zeit vermittelt ihm der Bruder von Elias Canetti, Jacques, eine Radiosendung mit dem vielversprechenden Titel „Carte Blanche à Boris Vian“, in der er Bebop propagiert. Doch der finanzielle Erfolg währt nur kurz: Ab 1947 arbeitet er als Übersetzer, eigene Romane und Gedichte werden immer wieder von Gallimard abgelehnt (Wagenbach wird ab April eine deutsche Gesamtedition herausbringen).
Der ganze Dandyismus, von den Nächten mit Sartre und Jean-Louis Barrault bis zu Filmen, in denen Vian Gangster und Sex-Vampire spielt, ist dabei ein Zerrspiegel seines sehr radikalen Pazifismus: Als Vian 1955 seinen Text „Der Deserteur“ gegen den Algerienkrieg vorträgt, kommt es zu Auseinandersetzungen mit profaschistischen Poujadisten. Vor allem in diesen kurzen Geschichten, etwa auch den „Ameisen“, schildert der sonst recht sanfte Musiker, wie Soldaten auf immer brutalere Weise ums Leben kommen, eine Art Vorläufer von „Catch 22“ als absurdes Theater. Zuletzt steht ein Gefreiter von Tretminen umgeben einsam im Feld. Der Rest seiner Kompanie war einfach losmarschiert. hf
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