■ Bonn debattiert Entschädigung für baltische Juden: Die Hilfe wird kommen
Die gestrige Debatte im Deutschen Bundestag über die „Entschädigung nationalsozialistischen Unrechts in den baltischen Staaten“ hat erwartungsgemäß eine breite Übereinstimmung bei allen Parteien über die Gewährung möglichst schneller Hilfe gezeigt. Es ist nicht mehr eine Frage des „Ob“, sondern nur noch eine Frage des „Wie“. Die Initiative von Prof. Gert Weißkirchen (SPD) ist die logische Fortführung der Bemühungen der deutsch-baltischen Parlamentariergruppe, Hilfe für die drei baltischen Länder Litauen, Lettland und Estland auf verschiedene Art und Weise zu geben.
Es darf schlichtweg nicht sein, daß die überlebenden Opfer in den drei baltischen Staaten durch alle „Roste“ der Entschädigungs- oder Wiedergutmachungsmöglichkeiten fallen. Sie haben keine Ansprüche, weil sie vor dem 1. Januar 1970 keinen Antrag gestellt haben (wie sollten sie auch als damalige Sowjetbürger?). Die Stiftung „Aussöhnung und Verständigung“ für die ehemalige Sowjetunion, für die eine Milliarde Mark bereitgestellt wurde, gilt jetzt nur für die Staaten Rußland, Weißrußland und Ukraine; und die Möglichkeit, einen Anspruch aus dem von der Bundesregierung zur Verfügung gestellten Fonds von 100 Millionen Mark der Jewish Claimes Conference stellen zu können, fehlt, weil sie in keinem westlichen Ausland leben. Die dankenswerterweise vom Bundesfinanzministerium in Aussicht gestellten Beträge für humanitäre Einrichtungen sind keineswegs Almosen, sondern müssen schlichtweg in einen Fonds eingebracht werden, der für karitative Zwecke der Opfer insgesamt zur Verfügung gestellt wird. Dann kann daraus unter anderem neben Zuschüssen für Einrichtungen für Kranke und ältere Bürger auch ambulante Hilfe gegeben werden, die Dinge umfaßt, die bei uns wie selbstverständlich von Krankenkassen getragen werden. So fehlt das Geld für Medikamente, Brillen, Zahnersatzbehandlungen oder andere für alte Menschen notwendige Geräte und ambulante Hilfsleistungen. Mit einer solchen Entscheidung wäre wirksam geholfen, ohne daß es zu der vom Bundesfinanzminister gefürchteten unübersehbaren Zahl persönlicher Ansprüche kommt.
Wie wichtig diese Hilfen sind, haben die fast beschämend geringen Zahlungen von je 30 Mark des deutsch-baltischen parlamentarischen Freundeskreises an die überlebenden Ghetto- und KZ-Häftlinge in den letzten Monaten gezeigt. Diese wurden dankbar für Medikamente und kleine Bedürfnisse des täglichen Lebens verwendet und gaben insbesondere das Gefühl, nicht vergessen zu sein. Nun muß der Bundestag handeln, und er wird handeln. Wolfgang Freiherr von Stetten
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