■ Bonn apart: Die Wahrheit über den Luxusumzug
Immer werden die öffentlich gerüffelt, die es am wenigsten verdient haben. Als Raffkes müssen sich nun Bonner Beamte für einen Gesetzentwurf beschimpfen lassen, der den Umzug der Bundesbediensteten nach Berlin regelt. Der Innenminister hat nichts Besseres zu tun, als die Pläne aus dem Verkehr zu ziehen. Warum nur sieht niemand, daß die beamteten Referenten zu den heiklen Fragen unserer Gesellschaft wegweisende Vorschläge auf den Tisch gelegt haben?
Frontal sind die Staatsdiener das Thema Arbeitszeitverkürzung angegangen. Sie haben sich längst für die Dreitagewoche entschieden. Wer in einem Bundesministerium in Berlin arbeitet, aber dort noch keine Wohnung gefunden hat, darf auch mal Donnerstag abend zurück an den Rhein fliegen und erst am Dienstag morgen wieder an seinen Schreibtisch zurückkehren. Stichwort Lohnausgleich: Statt Abzug gibt's ein monatliches Trennungsgeld bis 783 Mark dazu.
Den Abbau des Sozialstaats bemängeln viele – die Beamten aber steuern dagegen: Bundesbedienstete dürfen wöchentlich nach Bonn jetten. Sie können die Heimflüge aber auch sparen und weitergeben an die Verwandtschaft. Nicht nur an Gatten, Gattinnen oder Kinder, nein, Verwandte bis zum vierten Grad dürfen auf Staatskosten abheben.So beweist sich Solidarität auch außerhalb der Kernfamilie!
Stichwort Wohnungsnot: Was nützt das Mieterschutzgesetz dem Besitzer einer Villa am Rhein, der in Berlin eine Bleibe sucht? Fünf Jahre lang sollen die Zwangs- Berliner „Mietentschädigung“ erhalten, weil das Bonner Häuschen mit dem Hauptstadtumzug an Wert verliert. Den Berliner Miethaien wird niemand schutzlos ausgeliefert: Zu Maklergebühren und Umzugskosten kommt noch eine Pauschalvergütung von 1.700 Mark.
Zur Misere der Bildungspolitik: Arbeitslosen Berliner Lehrerinnen und Lehrern eröffnet sich eine berufliche Perspektive. Die Pädagogen dürfen Beamtenkindern helfen, die wegen des Umzugs aus dem schulischen Tritt gekommen sind. Bezahlt werden soll der Bildungspakt vom Finanzminister.
Schließlich die Initiative Einzelhandel/Geräteindustrie: Die 8.000 Beamtenfamilien müssen in Berlin auch mal kochen. Der alte Herd darf's nicht mehr sein, deshalb darf jeder Haushalt für 450 Mark Bundesfinanzen einkaufen. Das bringt Schwung in die darbende deutsche Geräteindustrie, belebt den Einzelhandel und sichert Arbeitsplätze.
Der angebliche „Luxusumzug“ ist tatsächlich ein Projekt Zukunft Deutschland. Wer dafür nichts ausgeben will, hat die Wahl: Die Beamten bleiben auch gerne in Bonn.
Hans Monath
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