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■ Bonn apartHauptstädtische Erkenntnisse

Es gibt Einsichten in den Zustand der Republik, die lassen sich nicht im rheinischen Provinzstädtchen Bonn gewinnen, sondern nur in Berlin.

Die Metropole zieht alles Neue mit Macht an sich. Gesellschaftliche Verschiebungen sind dort früher zu beobachten, und politische Strömungen treffen unverstellt aufeinander. Auch Bonner Berichterstatter können in Berlin lernen, wenn sie sich dort umtun oder aber ganz einfach nur zuhören. Zum Beispiel einem Taxifahrer, der beim Einsteigen des Fahrgastes die rechtsnationale Junge Freiheit zusammenfaltet.

Der vielleicht 20jährige Mann fühlt sich keineswegs ertappt, obwohl sein Wagen doch gerade in Kreuzberg parkt. Er duzt den Kunden und bietet neben der deutschnationalen Wochenzeitung auch gleich die taz zum Lesen an. Er lese nämlich, so sagt er, „alles, was interessant ist“.

Unverkrampft plaudernd gibt er Auskunft, zeigt keine Spur von Verlegenheit. Lächelnd plädiert er in der Staatsbürgerfrage für das „Ius sanguinis“ und spricht sich gegen eine „Vermischung der Rassen“ aus. Natürlich soll Deutschland sich abschotten, soll wirtschaftliche Autarkie anstreben.

Die Gegenargumente bügelt er schnell ab, fährt rasant um die Kurve und lädt den Kunden für den nächsten Abend zu einem Junge Freiheit-Lesezirkel ein, vor dem angeblich der Bürgerrechtler Wolfgang Templin sprechen wird. Kurz vor dem Ziel klagt er, die Geschichte mit der „Auschwitz-Lüge“ sei „ganz heikel“. Die Revisionisten, so sagt er, seien zu weit gegangen, denn immer weniger Deutsche glaubten, daß Millionen von Juden umgebracht worden seien. Er dagegen meint: „Geschichtliche Wahrheiten muß man anerkennen.“ Daß kein Massenmedium solche kruden Lügen transportiert, stört ihn nicht. Da will er aus Erfahrung sprechen, schaut in Sachsen angeblich den Leuten aufs Maul und sagt: „Was sind schon die Medien?“

Damit entläßt er den Fahrgast, der zurück nach Bonn muß, wo die Taxifahrer brav Boulevardzeitungen lesen. Denn im Regierungsviertel ist die Welt noch in Ordnung und sehr weit weg. Hans Monath

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