■ Bonn apart: Staatsquote voll erfüllt
Abgeordnete haben es bekanntlich nicht leicht. Alle zerren an den Volksvertretern herum, fordern mal dies, mal jenes. Dabei sind sie selbst vollauf damit beschäftigt, zu allen anstehenden Problemen erst einmal die notwendigen Forderungen zu formulieren, die mit Gewicht in Szene gesetzt werden müssen. Dabei geraten sie nicht selten ins Stammeln, ins Schleudern oder gar in die Selbstbildkrise.
Der Berufspolitiker, so hat es der Soziologe Ronald Hitzler treffend formuliert, erscheine zunehmend „als interessenabhängiger, unselbständiger Sachzwangverwalter, der sich mit anderen weisunggebundenen Mandatsträgern versammelt, um andernorts getroffene Entscheidungen registrieren zu lassen“. Und Ulrich Beck setzt gleich noch eins drauf: Die Politik habe sich „auf die Legitimation von Folgen spezialisiert, die sie weder verursacht hat noch wirklich vermeiden kann“.
Starker Tobak für die am letzten Sonntag gewählten 672 Abgeordneten, die weltweit das größte Parlament bilden. Nur die „Volkskongresse“ Chinas (2.987 Abgeordnete), Libyens (750) und Nordkoreas (687) sind größer. Aber Masse kann ja auch Klasse haben...
Doch schon ein Blick auf die Zusammensetzung läßt die Hoffnung schnell schwinden. Ganze 46 Prozent der Abgeordneten bezogen vor der Wahl das Gehalt vom Staat, Pädagogen (126) und Juristen (jeder Zehnte) dominieren das Parlament. Der Bundestag: mal voller, mal leerer, aber immer voller Lehrer.
Die mächtigen Lobbyverbände stellen inzwischen jeden siebten Abgeordneten, allein 22 vertreten die Interessen der Agrarwirtschaft. Nur vier Abgeordnete sind Unternehmer, drei Berufssoldaten und immerhin 14 Arbeiter (1990 waren es nur acht). Doch die meisten von ihnen sind Betriebratsvorsitzende von Großfirmen. Die politische Zukunft gehört damit wohl dem Machtmenschen; den „Menschen draußen im Land“ bleibt nur die Hoffnung auf ein neues Wahlgesetz oder den nächsten Urnengang.
Erwin Single
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