■ Bonn-apart: Zirkus ohne Joseph
Sprachregelungen sind ein fester Bestandteil der Politik. Meistens sind sie für Insider schnell zu entschlüsseln. Allerdings gibt es Fälle, bei denen die Regel so „verriegelt“ ist, daß neue „Wahrheiten“ entstehen: Diese Akrobatik der politischen Sprache beherrschten bisher vornehmlich die alten Parteien. Doch nun üben sich auch die frisch etablierten Grünen in sprachlichen Versteckregeln.
Einfallsreich planten die nordhrein-westfälischen Grünen ihren Wahlkampf nebst traditionellen Kundgebungen auch im Zirkuszelt. Doch machte Parteichef Joschka Fischer den ParteikollegInnen nun einen kräftigen Strich durch die Rechnung.
Er trete nicht in Zirkuszelten auf, war seine lapidare Absage. Sein persönlicher Referent schien über diese Entscheidung zuerst selbst überrascht, mischt er doch auch bei den Grünen in Bonn auf Kreisverbandsebene mit. Dort sollte Fischer am kommenden Freitag seinen ersten Einsatz im Zirkuszelt haben. „Man muß das akzeptieren, wenn er nicht will.“
Intern steht dieser moderaten Äußerung die geballte Faust in der Tasche entgegen. Aus Grünen-nahen Kreisen in Bonn ist zu erfahren: Die Basis ist „stinksauer“. Doch das will offiziell niemand bestätigen.
Denn intern ist die Angst vor dem Schlachterssohn aus Hessen viel zu groß. Wer Joschka will, muß sich Joschka fügen, wissen die Verbände der Grünen allerorts mittlerweile ganz genau. In Bonn mieteten sie deshalb nun für einen knappen Tausender das Studio der spießigen Bonner Beethovenhalle an. Das Zirkuszelt steht dann am Freitag abend ungenutzt auf der anderen Rheinseite – genau gegenüber.
Brav hält die Basis nach außen die Sprachregelung ein, die heißt: Das Studio der Beethovenhalle habe mehr Plätze. Von anderen Dingen habe man keine Kenntnis. Mehr Plätze? Das stimmt. Doch wird von den Bonner Grünen intern gezweifelt, daß die nun zur Verfügung stehenden 480 Plätze (vorher gut 300) überhaupt gefüllt werden können.
Die Posse betrifft jedoch nicht nur Bonn. Auch in anderen Städten NRWs sollte Fischer in diesem „wandernden“ Zirkuszelt die Wahlbotschaft ans Volk bringen.
NRW-Fraktionsvorsitzender Michael Vesper und Spitzenkandidatin Bärbel Höhn machten bereits den Anfang: In Wuppertal spuckte sie Feuer, er ließ sich rasieren. Andere grüne Politiker werden ebenfalls mit Darbietungen und Reden in die Manege einziehen. Nur Joseph der Große – so nennt sich Fischer bisweilen selbstironisch – will sich nicht zum Clown machen. Nicht die Zirkusluft, sondern der Mief der Bonner Beethovenhalle, so mag er glauben, scheinen ihm und seinen „Sprachregelungen“ besser zu stehen. Annette Rollmann
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