Bombodrom: Jung soll Heide in Frieden lassen
Nach dem Bombodrom-Urteil appellieren Politiker von SPD und Grünen an Verteidigungsminister Jung, die geplanten Tiefflüge über der Touristenregion aufzugeben.
BERLIN taz Einen Tag nachdem das Potsdamer Verwaltungsgericht der Luftwaffe die Nutzung des Bombodrom genannten Übungsplatzes in der Kyritz-Ruppiner Heide nahe Wittstock untersagt hat, appellieren Politiker an Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU), das Projekt aufzugeben.
"Es sollte die politische Einsicht folgen, dass der Übungsplatz keinen Sinn macht", sagte Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) der taz. Den Interessen der Bevölkerung und des Tourismus hätten nie überzeugende Argumente der Bundeswehr für die Nutzung des Geländes gegenübergestanden. "Ich hoffe, dass das Ministerium jetzt nicht durch alle Instanzen geht", sagte Thierse. Auch andere Politiker von SPD und Grünen schlossen sich dieser Haltung an.
Mit Jubel hatten die Bombodrom-Gegner am Dienstagabend auf das Urteil der Vorsitzenden Richterin Beate Vondenhof reagiert. Sie untersagte der Luftwaffe, auf dem 140 Quadratkilometer großen Bombodrom Flugübungen auszuführen. Das Ministerium allerdings will weitere Schritte prüfen.
Ihr Urteil begründete die Richterin damit, dass notwendige Abwägungen der Anwohnerinteressen bei der im Juli 2003 angeordneten Aufnahme des Übungsbetriebs nicht ausreichend berücksichtigt worden seien. Ein neues Lärmgutachten der Bundeswehr wurde zudem als nicht stichhaltig angesehen. Die Bundeswehr argumentierte darin unter anderem, dass die geringe Zahl von Tiefflügen an einem bestimmten Ort für die Bevölkerung zumutbar wäre.
"Dieses Urteil ist jetzt die beste Gelegenheit für den Minister, Klugheit im Amt zu zeigen - nämlich einzusehen, dass die Sache aussichtslos ist", sagte der Grünen-Verteidigungsexperte Winfried Nachtwei der taz. "Franz Josef Jung sollte zügig den geordneten Rückzug antreten. Damit könnte er sich auch endlich einmal gegenüber den Vorgängern Struck, Scharping und Rühe profilieren." Die Bundeswehr begründe die angebliche Notwendigkeit des Bombodroms mit "Szenarios wie aus dem Kalten Krieg", sagte Nachtwei. Im Tiefflug Bomben abzuwerfen, sei heutzutage völlig unüblich, weil sich die Piloten dadurch in Gefahr brächten.
Bisher trainieren die Flieger der Bundeswehr auf deutlich kleineren Plätzen im niedersächsischen Nordhorn und im bayrischen Siegenburg oder weichen nach Amerika und Italien aus.
Die Bundeswehr habe "nach wie vor Bedarf", den Platz in der Kyritz-Ruppiner Heide zu nutzen, sagte Ministeriumssprecher Bernd Hellstern. "Kein anderer Platz in Deutschland und im nahen Ausland bietet vergleichbare qualitative Übungsmöglichkeiten." Gegenüber der taz erklärte Hellstern, dass nur auf dem Brandenburger Gebiet mit seiner Größe von 142 Quadratkilometern ein "kontinuierliches sowie hochwertiges Training unter realitätsnahen Bedingungen im gesamten Einsatzspektrum der Luftstreitkräfte" gewährleistet sei. Zudem seien die anderen Plätze in Deutschland derzeit zu hoch belastet.
Eine Einschätzung, die der SPD-Bundestagsabgeordnete Ernst Bahr, in dessen Wahlkreis das Bombodrom liegt, nicht teilt. Die Bundeswehr brauche den Platz "eigentlich nicht", da die Kapazitäten auf den anderen deutschen Plätzen bisher nicht ausgenutzt worden seien. Dass der Platz schon vor der Wende und in viel stärkerem Maße als jetzt geplant für Flugübungen genutzt wurde, sei kein Argument für eine Weiternutzung. "Die Bevölkerung in der Region hat schon genug gelitten", sagte Bahr.
Das gerichtliche Tauziehen um das Areal läuft bereits seit 1994 und endete schon einmal im Jahre 2000 vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Die Richter erteilten der Bundeswehr damals eine Absage, da die Anwohner nicht zur Sache angehört worden waren. Nachdem die Bundeswehr diese Anhörung nachholte und der damalige Verteidigungsminister Peter Struck im Juli 2003 die Nutzung des Geländes anordnete, klagten die Anwohner erneut.
Das Ministerium wartet nun auf die schriftliche Begründung des neuen Urteils und will diese "gründlich prüfen". Mit einer Entscheidung, ob es weiter für eine Nutzung des Geländes kämpft, sei frühestens in ein bis zwei Wochen zu rechnen.
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