: Böses Blut in den Adern äthiopischer Juden
■ Farbige Israelis protestieren gegen heimliche Vernichtung von Blutspenden
Tel Aviv (taz) – Verbitterung und Wut trieb am Wochenende etwa 10.000 Juden äthiopischer Herkunft vor das israelische Ministerpräsidum in Jerusalem. „Macht Schluß mit dem Rassismus gegen schwarze Juden“, und „Wir sind keine Viren, sondern schwarze Menschen“, stand auf handgeschriebenen Plakaten. Der Anlaß: Die israelischen Gesundheitsbehörden hatten entschieden, alle Blutspenden der farbigen Juden zu vernichten – wegen angeblich erhöhter Aidsgefahr.
Bei der Demonstration wurden Hunderte von Polizisten und Grenzschützern eingesetzt – bewaffnet mit Tränengas, Schlagstöcken und Gummigeschossen. Im Nu kam es zur Straßenschlacht zwischen den Ordnungshütern und steinewerfenden Demonstranten. Auf beiden Seiten gab es mindestens 70 Verletzte. Erst als die Regierung, die gerade ihre wöchentliche Sitzung abhielt, eine Delegation religiöser und politischer Führer der Demonstranten empfing, brachen diese die Belagerung ab.
Auslöser des Protests war ein Bericht der Tageszeitung Maariv über die heimliche, systematische Vernichtung von Blutspenden äthiopischer Einwanderer. Nach der Veröffentlichung rechtfertigte Gesundheitsminister Efraim Sneh die Maßnahme mit der angeblich 50fach höheren Verbreitung von HIV-Infektionen bei äthiopischen Juden als bei der sonstigen Bevölkerung Israels.
Die Publikation löste eine heftige Debatte aus. Einem der bekanntesten und teuersten Herzchirurgen fiel nichts Passenderes als die Bemerkung ein, er würde sich in acht nehmen, um keinen Äthiopier operieren zu müssen.
Der Leiter der israelischen Blutbank Amnon Ben-David erklärte: „Internationale Regeln verlangen die Vernichtung des Blutes aller Spender aus Gruppen mit einem hohen Aidsrisiko: Schwarze Einwanderer, Homosexuelle und Drogenabhängige.“ Blut aus solchen „Risikogruppen“ würde nur aufbewahrt, wenn es sich um sehr seltene Sorten handele.
Ein anderer Sprecher der Blutbank fürchtete, die Veröffentlichung werde „die Einwanderer aus Äthiopien in den Augen der übrigen Bevölkerung noch mehr stigmatisieren, als es bereits der Fall ist.“ Nichtfarbige Israelis könnten befürchten, daß „jeder Kontakt mit äthiopischen Juden gefährlich sein könnte.“
Die äthiopischen Juden wurden in den letzten zwei Jahrzehnten nach Israel geholt. Viele von ihnen in spektakulären Lufbrückenaktionen. Die Anthropologin Shalva Weill, die äthiopische Einwanderer nach Israel begleitete, beschrieb den symbolischen Gehalt der Vernichtung der Blutspenden: „Das Vergießen des Bluts beleidigt den Stolz und verletzt die physische Identität der ganzen Gruppe.“ Weill, die als Beraterin des Innenministeriums tätig ist, verwies auch auf den politischen Effekt der Affäre: Durch ihren Protest hätten die äthiopischen Einwanderer auch ihre Bedeutung als Faktor bei den bevorstehenden Knessetwahlen demonstriert. Daß dies auch von der israelischen Regierung so wahrgenommen wird, demonstrierte Ministerpräsident Schimon Peres am Sonntag: Er entschuldigte sich bei den äthiopischen Juden.
Doch dies war nur Auslöser für den Protest. Die Demonstranten verlangten den Rücktritt der Minister für Gesundheit und Einwanderung sowie die Überprüfung zahlreicher Berichte über Diskriminierung äthiopischer Juden. Bei der Zuteilung von Wohnungen, im Erziehungswesen, bei der Arbeitsbeschaffung, ... praktisch überall werden die äthiopischen Einwanderer in Israel benachteiligt. Tausende von ihnen leben noch immer in Barackenlagern. Einen Hinweis auf die Not äthiopischer Juden in Israel liefert die außerordentlich hohe Zahl von Selbstmorden unter ihnen. Psychologen machen dafür einen immensen gesellschaftlichen Assimilationsdruck verantwortlich. Für Kobi Friedmann, der lange mit der Vorbereitung der Einwanderer in Äthiopien beschäftigt war, ist die „alteingesessene israelische Gesellschaft ausgesprochen intolerant, oft sogar rassistisch.“ Amos Wollin
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