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Böses Blut IIIst Rot-Rot-Grün sinnvoll? Ja!

SPD und Grüne sollten eine von den Linken tolerierte Landesregierung bilden. Der Versuch ist es wert. Die Linkspartei ist jetzt auch im Westen Realität. Das kann nicht ignoriert werden.

SPD und Grüne sollten den Versuch wagen, sich in Hessen von der Linken tolerieren zu lassen. Denn die wird so schnell nicht verschwinden, sie bindet Wähler, die die SPD bis auf Weiteres verloren hat, und die inhaltlichen Gemeinsamkeiten sind groß. Alles andere ist realitätsfremd.

Die SPD hat die Linkspartei im Westen und im Bund bislang ignoriert und beschimpft. Sie hat die neue Konkurrenz zur Chaotentruppe und unverbesserlichen Altkommunisten erklärt. Sie hat ein Schwarzbuch über die Linksfraktion herausgegeben, sie zu "sogenannten Linken" gestempelt und öffentlich geschworen, nie mit ihr zu koalieren. Das beeindruckende Ergebnis dieser Strategie lautet: In Bremen, Hessen und Niedersachsen ist die Linkspartei ins Parlament eingezogen, in Hamburg wird sie es wohl demnächst tun. Die Westausdehnung schreitet voran. In Umfragen liegt sie bundesweit konstant um zehn Prozent.

Bild: taz

Stefan Reinicke, 49, ist Autor der taz. Er beschäftigt sich vor allem mit Innenpolitik, Parteien und Geschichtspolitik.

Der Streit um Rot-Rot-Grün

SPD, Grüne und Linkspartei könnten in Hessen eine Regierung bilden - eine Regierung, die zum Vorbild für andere Bundesländer oder gar für den Bund werden könnte. Die Linke wäre dazu bereit, Rot-Grün zu tolerieren. Allein: Die SPD schließt im Westen jede Zusammenarbeit aus. Ist das klug?

Die Linkspartei im Westen ist Realität - und sie wird nicht verschwinden, nur weil Kurt Beck sich die Augen zuhält. Und noch in einer weiteren Hinsicht waren Wahlen in Hessen und Niedersachsen für die SPD überaus deprimierend: Obwohl die SPD in Hessen einen klugen, auf Gerechtigkeitsthemen zielenden Wahlkampf inszenierte, hat sie bei Arbeitslosen und Arbeitern kaum gewonnen. Teile jener Stammklientel, die Gerhard Schröder mit seiner Agenda 2010 vertrieben hat, haben der SPD zumindest auf absehbare Zeit den Rücken gekehrt.

Es existiert ein Fünftel der Gesellschaft, das den Aufschwung nur aus der Zeitung kennt und für die SPD nur noch begrenzt ansprechbar ist. Offenbar schwinden unter den Bedingungen eines globalisierten, verschärften Kapitalismus und einer wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich die Integrationskräfte der SPD. Das muss, wie etwa Schweden zeigt, wo die Sozialdemokratie mit einer kleineren linken Konkurrenz manchmal Bündnisse eingeht, kein Drama sein. Dazu wird es nur, weil Kurt Beck der SPD einen Gesinnungskrampf verordnet hat, der die Partei unflexibel und hilflos erscheinen lässt.

In Hessen könnte ausprobiert werden, ob eine rot-rot-grüne Zusammenarbeit funktionieren kann. Unüberwindliche inhaltliche Hindernisse sind nicht erkennbar. Im Landtag wird nicht über Bundeswehreinsätze, sondern über Schulpolitik entschieden. Und es gibt Ziele in der Bildungs-, Sozial- und Energiepolitik, die Rot-Rot-Grün verbinden.

Die Aufgabe der SPD in Hessen ist es nun, auszuloten, ob eine Zusammenarbeit mit der Linksfraktion möglich ist. Dazu muss sie mit ihr reden, verhandeln, kurz: Politik machen.

Eine Koalition steht nicht zur Debatte, und natürlich wäre bereits eine Tolerierung von Rot-Grün ein riskantes Unternehmen, zumal Rot-Rot-Grün nur eine knappe Mehrheit von zwei Stimmen hätte. Außerdem neigt die Linkspartei West zum Überideologisierten, das sich bislang nicht in kommunalpolitischer Praxis abgeschliffen hat, weil es eine solche Praxis kaum gab. Doch falls sich die Linkspartei in einem Annäherungsprozess in Hessen als Haufen politikunfähiger Dogmatiker erweisen sollte, wird das nicht der Schaden der SPD sein. Im Gegenteil, dann könnte sie der Öffentlichkeit plausibel machen, dass Stimmen für die Linkspartei wirklich verlorene Stimmen sind.

Das eiserne Nein der SPD verrät nicht Stärke und Weitsicht, sondern Schwäche. Ihre ostentative Nichtbeachtung der Linkspartei ist nicht etwa eine plumpe, aber erfolgreiche Strategie - im Gegenteil. Gerade die schroffe Ausgrenzung lässt die Linkspartei interessant erscheinen.

Die Linke, die im Westen noch eine wackelige Organisation ist, ist genauso wie die Ex-PDS im Osten eine eher defensive - oder neudeutsch: sozialkonservative - Partei. Verglichen mit den wilden Grünen, die in den frühen Achtzigerjahren in Hessen eine SPD-Regierung tolerierten und deren Abgeordneter Frank Schwalba-Hoth unter Beifall der Grünen im Landtag 1983 einen US-General mit Blut bespritzte, ist die Linksfraktion in Hessen eine ordentlich wirkende Truppe, die einen recht sozialdemokratisch anmutenden Etatismus vertritt. Auch wenn sie manche ihrer Ideen mit einem etwas anstrengenden Weltverbesserungstremolo unterlegt, kann Rot-Rot-Grün ein vernünftiges Politikmodell werden.

Wovor also hat die SPD Angst? Wahrscheinlich vor einer Anti-Volksfront-Kampagne, die die CDU in der Tat sofort entfachen würde. Allerdings zeigt der spektakuläre Misserfolg der Koch-Kampagne gegen "Ypsilanti, Al-Wazir und die Kommunisten", dass solche Retroinszenierungen nicht funktionieren müssen. Das 20. Jahrhundert ist vorbei.

Rot-Grün, toleriert durch die Linkspartei, wäre einen Versuch wert. Er scheitert derzeit nicht an der doktrinären Verhärtung und erwiesenen Unfähigkeit der Linkspartei, sondern an der Politikverweigerung der SPD. Beck hat die Partei auf die Losung "Niemals mit der Linkspartei im Westen" festgenagelt. Dieser Strategie wird es genauso ergehen wie Rudolf Scharpings Doktrin in den Neunzigern, nie mit der PDS im Osten zu koalieren: Früher oder später wird sie der praktischen Vernunft weichen. Wie es aussieht, leider später.

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