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Böhme beteuert seine Unschuld

■ Sein Mandat im SPD-Vorstand ruht „bis zur Klärung“ der Stasi-Vorwürfe/ Vogel: Kein Ministeramt für de Maizière vor Entkräftung der Beschuldigungen/ Unschuldsvermutung müsse weiter gelten

Bonn/Berlin (dpa/adn/taz) — Der ehemalige Vorsitzende der DDR- SPD, Ibrahim Böhme, hat nach den jüngsten Vorwürfen des Schriftstellers Reiner Kunze, er habe jahrelang für den Staatssicherheitsdiens gearbeitet, seine Unschuld beteuert. Das geht aus einem Telegramm Böhmes an den SPD-Vorsitzenden Hans Jochen Vogel hervor, in dem Böhme ankündigt, er werde „aus gesundheitlichen Gründen“ seinen Sitz im Parteivorstand der SPD bis zur Klärung der Beschuldigungen gegen ihn ruhen lassen. Böhme begründet seinen Rückzug auch damit, er wolle den Klärungsbedarf in dieser Sache nicht der Partei aufbürden.

Auch der letzte Ministerpräsident der DDR und jetzige Bundesminister im Kabinett Kohl, Lothar de Maizière, hat sich gegen neuerliche Vorwürfe einer Stasi-Tätigkeit verteidigt, die bereits im März dieses Jahres unmittelbar vor der Volkskammerwahl laut geworden waren und die jetzt durch neues Belastungsmaterial erhärtet wurden. Eine Sprecherin des Ministers erklärte gestern, de Maizière habe wegen ständiger Teilnahme an den Koalitionsverhandlungen noch keine Schritte zu seiner Entlastung eingeleitet. Als Anwalt, so die Auskunft, erkenne er, daß „da kein Recht einklagbar ist“. Wenn überhaupt, dann könnten Innenminister Schäuble und der Bundesbeauftragte für den Umgang mit den Stasi- Akten Joachim Gauck etwas erreichen.

Unterdessen hat SPD-Chef Vogel dazu aufgerufen, in Zusammenhang mit den ungeklärten Vorwürfen zurückhaltend zu reagieren. So lange es keine handfesten Beweise gegen Lothar de Maizière und Ibrahim Böhme gebe, müsse die Unschuldsvermutung gelten. Allerdings müsse de Maizière auf einen Ministerposten im neuen Kabinett verzichten, falls die Gerüchte bis zur Kabinettsbildung nicht aus der Welt geschafft werden könnten. Vogel bezeichnete es als „bedrückend“, welche „Verwüstungen“ das Stasi-System angerichtet habe. Die westdeutsche Öffentlichkeit solle sich allerdings in dieser Angelegenheit „verdammt zurückhalten“ und auf die Menschen in den neuen Bundesländern hören.

Während die Beweiskette gegen de Maizière, von dem jetzt in einer Territorialkartei der ehemaligen Staatssicherheit eine Karteikarte mit Deck- und Klarname aufgetaucht ist, noch immer Lücken aufweist, sind die Indizien gegen Böhme erdrückend. Der 1977 in die Bundesrepublik emigrierte Schriftsteller Reiner Kunze hat nach dem Studium seiner Stasiakte in Jena die jahrelange Bespitzelung durch Böhme in einem Buch minutiös dokumentiert. So fand Kunze unter anderem zwei Protokolle über ein am 21. Dezember 1976 geführtes Telefongespräch zwischen seiner Frau und Ibrahim Böhme. Bei dem einen handelt es sich um einen Bericht des Stasi-Informanten (Deckname „Bonkarz“) über das von ihm geführte Telefongespräch mit Frau Kunze. Routinemäßig wurde dieses Gespräch auch von der Stasi-Abhörabteilung protokolliert: Das Abhörprotokoll nennt den Klarnamen des Gesprächspartners: Ibrahim Böhme.

Ein anderes Mal berichtete der Informant „Bonkarz“ in Ichform über einen Vorgang, an dem nur Kunze und Böhme beteiligt waren: „Am Ende unserer Zusammenkunft“, so der Bericht „übergab Reiner Kunze mir das Buch Die wunderbaren Jahre.“ Die persönliche Widmung für Böhme, die Reiner Kunze in das Exemplar seines Buches schrieb, fand der Schriftsteller jetzt in dem Informantenbericht wieder.

Siehe auch Kommentar Seite 10

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