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Bobby Rafiq Bobsens SpätiPeter Lustig als Coping-Strategie

Foto: Faruk Hosseini

Kuscheln mit den Ohren, kennen Sie das? Nicht mit den Lauschern anderer Leute, ich meine den eigenen Hörsinn, eher das innere Ohr. Sich an ein Kuscheltier schmiegen, das physisch nicht existiert, akustisch aber Wohlbefinden auslöst. Töne, die einen prompt in die Kindheit zurückführen. So geht es mir mit der Titelmusik von „Löwenzahn“.

Die gezupfte Gitarre, das verspielte Klavier, der markante Schellenring, Peter Lustigs Stimme. Herzallerliebst.

Als im September 2001 die Flieger ins World Trade Center krachten, später die ersten Bomben auf Afghanistan fielen und die Welt auch sonst den Verstand verlor, wurde es in meinem Kopf immerzu löwenzahnig. Heute summe ich die Melodie wieder vor mich hin.

Krisen, Kriege, Kriegsverbrechen, so war das auch damals, als wir 1980 aus Kabul nach Westberlin flohen. Fast zur selben Zeit muss die Sendung gestartet sein. Dass wir uns das 45. Jubiläum teilen, ist ein schöner Zufall. Bewusst wurde es mir erst, als ich online stöberte. Zur Geburtsstunde gibt es unterschiedliche Angaben. Weil aber vor fünf Jahren das ZDF als Haussender und auch die taz den vierzigsten Geburtstag feierten, sollte das hinkommen.

Nachdem ich mich sprachlich eingerenkt hatte, begann auch für mich die schöne Zeit mit dem blauen Bauwagen und Peter Lustig. Ich liebte ihn! Als Kind versprach ich mir seine Nickelbrille, sollte ich je eine Sehhilfe brauchen. Tja, was soll ich sagen, erst seit wenigen Wochen bin ich tatsächlich Brillenträger. Eine Nickelbrille wurde es trotzdem nicht, mein Bild davon hat mir Hans-Georg Maaßen verdorben.

Eigentlich spannend, dass Löwenzahn kurz vor der geistig-moralischen Wende Helmut Kohls startete. Da hieß es auch schon, Leistung müsse sich wieder lohnen, und Peter Lustig – der Erklärbär im Müßiggang – wirkte wie ein provokanter Gegenentwurf. Eine Sendung über Umwelt und Technik, ausgerechnet in dem Jahr, in dem sich die Grünen unter dem Argwohn der anderen Parteien gründeten – kaum zu glauben!

Allein der Einstieg: renitentes Unkraut, das den Asphalt sprengt. Die Titelmusik mit tanzbaren Offbeats, gegen jede deutsche Ufftata-Mentalität. Als wenn das nicht schon gereicht hätte, wurden viele Folgen ausgerechnet in der Hochburg der Fahnenflüchtigen aus Westdeutschland gedreht – in Westberlin.

Die Verbindungen zwischen Peter Lustig und Berlin waren tiefgehender. Die Stadt hat ihm einen Satz zu verdanken, der in Deutschland weltberühmt wurde. Als John F. Kennedy vor dem Rathaus Schöneberg „Ick bin ein Berliner“ sagte, arbeitete er als verantwortlicher Tontechniker beim übertragenden US-Militärsender AFN.

Allein der Einstieg: renitentes Unkraut, das den Asphalt sprengt

Es kommt noch dicker! Zu Mauerzeiten war er eine Art Schmuggler. Er besuchte regelmäßig seinen alten Kommilitonen Dieter Herrmann in Ostberlin und versorgte ihn mit allerlei Ware. „So habe ich die Archenhold-Sternwarte in Treptow mitfinanziert. Dieser Kommilitone ist dort irgendwann Direktor geworden, und ich habe ihm alles Mögliche gebracht, was gefehlt hat, Schrauben zum Beispiel. (…) Teilweise war ich jede Woche drüben – als Kleinkurier der Freiheit“, zitiert ihn der Tagesspiegel aus Anlass seines Todes im Februar 2016.

Seine letzten Tage verbrachte Peter Lustig in der alten norddeutschen Wahlheimat bei Husum, wohin er nach einigen Jahren in Charlottenburg zurückgezogen war. Seine Asche wurde der See übergeben. Schade für uns! Wie viel leichter könnten wir mit dem Zeitgeist umgehen, hätten wir einen mit ihm verbundenen Ort, an dem wir die Melodie summen könnten. Ich finde: Es ist Zeit für eine Peter-Lustig-Straße! Und bis dahin geht’s nach Babelsberg, wo der Original-Bauwagen steht.

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