piwik no script img
taz logo

Bobby Rafiq Bobsens SpätiDas Ende von Blut und Boden

Foto: Faruk Hosseini

Wie es der Zufall oder das Schicksal wollte – oder lass es den lieben Gott gewesen sein – haben sich im März gleich zwei Freunde der Familie auf ihre letzte Reise begeben. So musste ich kurz hintereinander auf zwei Beerdigungen. Zwei Male, bei denen vor den Augen der Trauernden ein geliebter Mensch mit Migrationsgeschichte in deutsche Erde hinabgelassen und anschließend damit bedeckt wurde.

Deutsche Erde. Berliner Erde. Was ein Blödsinn. Es gibt sie nicht. Genauso wenig, wie es bolivianische oder afghanische Erde gibt. Beim Himmel sieht es nicht anders aus – nationale Lufthoheit ist eine menschliche Erfindung. In Berlin haben Nebelkrähen die Lufthoheit. Himmel und Erde kennen keine Zugehörigkeit. Der Rest passiert in unseren Köpfen, Atlanten und, mehr schlecht als recht, bei Google Maps.

Jedenfalls erwiesen etwa hundert Familienangehörige, Verwandte und Freun­d:in­nen den Verstorbenen die letzte Ehre. Ich kannte beide Herren seit meiner Kindheit. Auch sie kamen, als wir vor etwas über dreißig Jahren meinen Vater viel zu früh beerdigten.

Für mich Heranwachsenden vollzog sich dieser schmerzvolle Abschied damals in einem geschützten Rahmen, in einer Art Safe Space, getragen von vielen, die mit uns liebevolle Erinnerungen an meinen Vater teilten. Umgeben von afghanischer Diaspora und deutscher Gegenwart ließen wir den Sarg meines Vaters eigenhändig ins Erdreich hinab und schütteten sein Grab mithilfe einiger Spaten gemeinsam zu: so wie es nach islamischem Ritus erforderlich und von vielen ehemals Geflüchteten gewünscht ist, losgelöst vom tatsächlichen Grad ihrer Frömmigkeit.

Spatenstich um Spatenstich gelangte die Erde wieder zurück in den Boden. Helle Erde, dunkle Erde, trockene und feuchte Erde, mit Steinchen durchsetzte Erde, Erde mit kleinen und größeren Stücken Holz, mit Resten von Wurzeln, na ja, Erde halt. Heute, dreißig Jahre nach dem Tod meines Vaters und viele Abschiede später, entfalten die beiden jüngsten Bestattungen im Nachhinein eine besondere Wirkung. Sicher dem Umstand geschuldet, dass sie kurz hintereinander stattfanden. Zweimal in derselben Woche ein muslimisches Begräbnis, Beileidsbekundungen auf Dari und Deutsch, immer wieder mal beide Sprachen in einem Satz.

Derweil stoßen diese frischen Erinnerungen auf andere Bilder, es sind die jüngsten Naziaufmärsche in Berlin. Sie vermischen sich mit weiteren Bildern aus diesem Jahr. Mit den funkelnden Augen der geltungsgierigen Rechtsextremen im Bundestag. Wie sie der Union im Januar ein Schnippchen schlugen. Jene, die „Remigration“ zum politischen Konzept erhoben und im Wahlkampf die „demokratische Mitte“ zur freiwilligen Steigbügelhalterschaft verdammten.

Müssen wir unsere Toten bald zurücklassen? Im fremd gebliebenen Deutschboden, auf dem wir zunehmend unerwünscht sind? Diese Frage wäre mir nach dem Begräbnis meines Vaters, immerhin mitten in den Baseballschlägerjahren, nie in den Sinn gekommen. Heute klingt sie, wenn überhaupt, nur im ersten Moment absurd. Aber so leicht werden sie uns nicht los. Und selbst wenn doch irgendwann, ist ihr Boden längst nicht mehr das, was er natürlich niemals war, in ihren kranken Augen jedoch zu sein hat: deutsch.

Müssen wir unsere Toten bald zurücklassen? Im fremd gebliebenen „Deutschboden“?

Denn die Körper unserer Liebsten, irgendwann unsere eigenen, zerfallen im vermeintlich deutschen Erdreich. Sie nähren Pflanzen und Gräser, Blumen und Bäume, werden auf Bauernhöfen Teil der Nahrungskette, indirekt natürlich. Als Pollen landen sie in den allergischen Lungen selbsternannter Arier und machen ihnen das Leben schwer. Deutschboden ist tot, es lebe die Erde. Wie befreiend. Ruhet in Frieden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

taz zahl ich

Ihnen liegt die taz am Herzen?

Dann hätten wir eine Bitte: Unterstützen Sie uns mit einem freiwilligen Beitrag! Denn wir sind auf unsere Leser:innen angewiesen, wenn wir taz.de auch weiterhin frei zugänglich halten wollen. Mit nur 5,- Euro sichern Sie unseren Journalismus und die Zukunft der taz – sind Sie dabei?