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Blutiger Streit zwischen Moslems und Hindus in IndienReligionsstreit zerreißt Indien

■ Der dritte Sturm auf die moslemische Moschee in Ayodhya wurde gestern schnell von dem überall präsenten Militär gestoppt. 52 Städte, Distrikte und Polizeibezirke stehen unter Ausnahmerecht, um den offenen Krieg der Religionen zu verhindern. Im 800 Kilometer fernen Neu-Delhi machen sich die Parteispitzen den Streit der Fundamentalisten zunutze: Wird Rajiv Ghandi aus dem Machtspiel als Sieger hervorgehen? Über hundert Tote hat der Haß zwischen Hindus und Moslems bisher gefordert, der sich auf den Straen des indischen Subkontinents austobt.

Gespannte Ruhe herrschte am Donnerstag früh in der nordindischen Stadt Ayodhya. Fundamentalistische Hindu-Gruppen hatten einen dritten Versuch angekündigt, das Gelände der Moschee zu stürmen. 10.000 hinduistische Pilger warten in Ayodhya, indische Soldaten halten den Tempelplatz abgeriegelt. Rund 300 Hindus haben nach Polizeiangaben versucht, trotz der Ausgangssperre zu der Moschee vorzudringen.

Am Dienstag hatten Tausende radikaler Hindus die von starken Polizeikräften gesicherte Moschee in Ayodhya gestürmt. Sie wollen das moslemische Gotteshaus abreißen und einen Hindu-Tempel für den Gott Rama, der angeblich dort geboren wurde, errichten. Die Moschee sei vor Jahrhunderten auf den Trümmern des ehemaligen Rama-Tempels errichtet worden. Die Moslems verweisen darauf, daß schon mehrere Tempel existieren — alle an vorgeblichen Geburtsorten des Gottes. Zwölf Prozent der 880 Millionen Einwohner Indiens sind Moslems, 82 Prozent Hindus.

In mehreren Städten Indiens liefern sich Hindus und Moslems seit Dienstag blutige Straßenkämpfe. In mindestens zwölf indischen Städten herrschten gestern Ausgangsbeschränkungen. Eine unbegrenzte Ausgangssperre war am Mittwoch abend über den Distrikt Surat im Bundesstaat Gujrat verhängt worden, nachdem dort Hindus Ladenlokale angezündet und Polizisten mit Steinen beworfen hatten. In einigen Stadtvierteln des ostindischen Patna sind Bomben explodiert, in moslemischen Wohnvierteln Patnas war es zu Brandstiftungen gekommen.

Nach Zeitungsberichten hat die Reparatur der Moschee in Ayodhya, die am Dienstag beschädigt worden war, begonnen. In der englischsprachigen Presse in Neu-Delhi wurde am Donnerstag gleichzeitig der Sturm der Hindus auf die Moschee in Ayodhya bedauert und zur Versöhnung der Religionen aufgefordert. Die radikale hinduistische Bharatiya-Janata-Partei (BJP) wird beschuldigt, die Spannungen zwischen Moslems und Hindus mit dem Streit um die Moschee in Ayodhya aufzupeitschen, um die Anhängerschaft der BJP zu vergrößern. Landesweit starben bei den Kämpfen in der letzten Woche über 100 Menschen.

In dem Fluß Saryu in Ayodhya fanden Badende am Donnerstag vier verweste Leichen, die mit Sandsäcken und Steinen beschwert waren. Die Toten wiesen Schußverletzungen und Spuren von Schlägen auf. Dadurch erhielten Gerüchte neue Nahrung, daß Soldaten bei den Ausschreitungen am Dienstag auf einer Brücke über den Saryu zahlreiche Menschen erschossen hätten. Das Militär hat dies bisher bestritten und erklärt, nur ein Mensch sei auf der Brücke zu Tode gekommen.

Wird Premier Singh „geopfert“?

Die Unruhen hatten am Mittwoch auch auf Bangladesch übergegriffen, wo Moslems die übergroße Mehrheit der Bevölkerung bilden. Über Dakka, der Hauptstadt Bangladeschs, wurde am Donnerstag der Ausnahmezustand verhängt. Am Mittwoch abend war ein Mensch getötet worden, mindestens 200 erlitten Verletzungen, als Sicherheitskräfte das Feuer auf Tausende Moslems eröffneten, die Hindutempel stürmten und die Häuser von Hindus plünderten. Auch in der Hafenstadt Chittagong und anderen Städten war es zu religiös motivierten Ausschreitungen gegen Hindus gekommen.

Die Auseinandersetzungen zwischen den Glaubensrichtungen bringen auch die indische Regierung von Ministerpräsident Vishwanath Pratap Singh immer mehr in Bedrängnis. Die Regierung hatte erklärt, daß sie eine Zerstörung der Moschee mit aller Macht verhindern werde. Daraufhin hatte die fundamentalistische Hindupartei Bharatiya Janata, auf deren Stimmen Singh angewiesen ist, die Koalition verlassen. In Neu- Delhi wird spätestens für Freitag mit einer Vorentscheidung über das politische Schicksal von Singh gerechnet. An der Spitze der Regierungspartei Janata Dal wird erwogen, ihn „zu opfern“, um mit Stimmen aus der oppositionellen Kongreß-Partei ihre Minderheitsregierung über eine für den 7.November anberaumte Vertrauensabstimmung im Unterhaus hinwegzuretten. Bei vorgezogene Neuwahlen könnte, so wird in Neu-Delhi spekuliert, die erst vor einem Jahr abgewählte Kongreßpartei unter Rajiv Gandhi das Rennen machen.

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