: Blüm: „Todeskandidaten rausholen“
■ Bundesarbeitsminister Blüm: „Kinder wurden gefoltert, Unbewaffnete erschossen“ / Pinochet greift Blüm an: Als Deutscher kein Recht zur Anklage / Strauß: „Skandalöser Auftritt“ eines CDU–Ministers / Blüm: Bonner Streit „kleinkariert“
Santiago/Berlin (afp/dpa/ap/ taz) - „Wir müssen die Leute hier rausholen.“ Diese eindeutige Konsequenz zog Bundesarbeitsminister Norbert Blüm noch während seiner um einen vierten Tag verlängerten Reise in die südamerikanische Militärdiktatur, in der „nicht nur gefoltert, sondern auch gemordet wird“. Es sei „ziemlich unerheblich“, was Innenminister Friedrich Zimmermann (CSU) zur Aufnahme der 15 von der Todesstrafe bedrohten Chilenen sage oder Außenminister Genscher wolle, erhob sich Blüm über den „keinkarierten“ und „engstirnigen“ Streit zwischen FDP und CSU, „wenn es um das Leben dieser Menschen geht“. „Ich werde alles tun,“ kündigte Kabinettsmitglied Blüm an, „um sie vor der Hinrichtung zu bewahren.“ Während sich der Bundesarbeitsminister noch auf dem Weg zu der im Süden Chiles inhaftierten deutschen Staatsangehörigen Beatriz Brinkmann befand, zogen sich aus Bayern kommend neue Koalitionsgewitter über den nach den Worten von Franz Josef Strauß „skandalösen Auftritt“ Blüms zusammen. Entgegen der Haltung Bundeskanzler Kohls, der den Innenminister unterstütze, falle Blüm Zimmermann in den Rücken. Es handle sich schließlich nicht „um den peinlichen Auftritt eines ahnungslosen Touristen, der sich in die Außenpolitik verirrt hat, sondern um einen Bundesminister der CDU“, entlud sich der CSU–Vorsitzende in einem vorab veröffentlichten Interview der Bild– Zeitung. „Das Schlimmste vom Schlimmen“, hatte Blüm am Wochenende in Chile Journalisten zu Protokoll gegeben, etwa daß auch Kinder gefoltert würden, um die Eltern zur Willfährigkeit zu zwingen. „Ich habe mit einer Mutter gesprochen, der ihr Kind auf den Leib gelegt und mit heißer Asche überschüttet wurde“, unterrichtete Blüm die Öffentlichkeit von seinen Gesprächen mit chilenischen Folteropfern. Ein Mann habe ihm geschildert, wie ihm die Schreie seines gequälten Babys vom Tonband vorgespielt worden seien, um ihn gefügig zu machen. Anderen Kindern habe man brennende Zigaretten auf der Haut ausgedrückt. Fortsetzung auf Seite 2 Der Bundesarbeitsminister, der als prominentes CDU–Mitglied auf Einladung der chilenischen Christdemokraten zum 30jährigen Gründungsjubiläum der Schwesterpartei in den Andenstaat gereist war, bezichtigte das Militärregime auch des Mordes an Regierungsgegnern, die im Juni während einer Razzia bei einem angeblichen Schußwechsel getötet worden waren. „Ich habe gehört, daß diese Menschen nicht einmal bewaffnet waren.“ Nachdem sich Blüm im Anschluß an eine Unterhaltung mit den Eltern Beatrice Brinkmanns zur Verlängerung seines Besuchs entschlossen hatte, um die Deutsche im Gefängnis im südchilenischen Valdivia aufzusuchen, beendete er am Samstag seinen Aufenthalt in der Hauptstadt Santiago mit einer weiteren aufsehenerregenden Pressekonferenz. Der Po litiker zeigte sich dort gemeinsam mit der Studentin Carmen Gloria Quintane, die, zusammen mit einem Freund von chilenischen Sicherheitskräften nach einer Protestdemonstration mit Benzin übergossen und angezündet worden war. Der Freund starb. Sie erlitt schwerste Verbrennungen. „Sie haben eine wichtige Aufgabe, die Menschenrechte in der Welt zu garantieren“, ermunterte Blüm die 19jährige und nannte die Frau „das Symbol jener, die gelitten haben und gefoltert worden sind“. General Pinochet, von dem aufsehenerregendsten Auftritt eines bundesdeutschen Regierungsmitglieds in Chile seit dem Putsch 1973 offensichtlich überrascht, hatte den Christdemokraten bereits am zweiten Reisetag kurzfristig zu einer 40minütigen „Audienz“ eingeladen. „Ich habe Pinochet gesagt, daß ich für Folter überhaupt kein Verständnis habe“, berichtete Blüm, der auch Mitglied der Gefangenenorganisation Amnesty International ist, später von dem Gespräch mit den Diktator. Pinochet habe die Foltervorwürfe bestritten. Als Pinochet die Behandlung von linksextremistischen Gefangenen in Stuttgart–Stammheim erwähnt habe, hätte er ihm „freies Geleit zur Untersuchung dieser Vorwürfe zugesichert und ihn gebeten, mich in Chile entsprechende Vorwürfe untersuchen zu lassen“. In der Auseinandersetzung sei ihm von Pinochet auch entgegengehalten worden, wie er eigentlich dazu komme, als Ankläger für Menschenrechte aufzutreten: „Sie sind doch Bürger eines Landes, das sich in der Vergangenheit vieler Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht hat.“ „Gerade weil ich ein Deutscher bin“, gab Blüm seine Antwort noch einmal in einem Interview mit der Bild–Zeitung wieder, „setze ich mich für Menschenrechte und Demokratie ein.“ Damit ist das Springer–Blatt, in dem Strauß Bundeskanzler Kohl aufruft, „endlich für Ordnung zu sorgen“, zum Austragungsort des Regierungsstreits avanciert. „Kein Wunder, daß Genscher sich bei der publicityträchtigen Angelegenheit für die Aufnahme der Chilenen einsetzt“, klagt der Bayer, der sich mit seinem neuesten außenpolitischen Steckenpferd, der Entsendung eines Kriegsschiffes der Bundesmarine in den Golf, bereits wieder auf Kollisionskurs mit der FPD begibt. Innenminister Zimmermann kündigte auf einer Versammlung der bayrischen Schülerunion in Würzburg an, er wolle Blüm in Chile anrufen. Wie Pinochet erinnerte er an „die Zeit von Baader– Meinhof“, nach deren Selbstmorden in Stammheim das Wort von der Isolationsfolter „durch die Republik gegeistert sei“. Der stellvertretende SPD– Fraktionsvorsitzende Penner erklärte, das Parlament könnte auch während der Sommerpause zu einer Sitzung zusammenkommen, wenn Zimmermann nicht von seinen Positionen abrücke.
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