Blogger zu Norwegen: "Blind vor Aktionismus"
Nach den grauenvollen Ereignissen in Norwegen wurden von vielen "Experten" voreilige Schlüsse gezogen. Blogger üben nun Kritik und nur das ZDF weiß sich zu wehren.
BERLIN taz | Zu den vornehmsten Aufgaben des Internets gehört es, Autoritäten einzuebnen: Das hat zur Erosion der journalistischen Aura geführt. Dieses Mal haben sich die Terrorexperten verzettelt, die kurz nach dem Anschlag unisono über die Beteiligung Al'Quaidas spekulierten - nicht nur jene Experten im Fernsehen übrigens, sondern auch die Gewerkschaft der Polizei warnte stehenden Fußes , "dass auch deutsche Großstädte in Gefahr" seien.
Denn schließlich: "Terror ist Terror. Wer die von den Sicherheitsbehörden immer wieder beschworene Gefahr kleinredet, handelt verantwortungslos." Auf keinen Fall verantwortungslos wollte sich der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU im Bundestag, Hans-Peter Uhl, präsentieren, als er direkt die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung anregte - "blind vor Aktionismus", wie Florian Altherr bei Netzpolitik anmerkt.
Stefan Niggemeier sammelte stellvertretend für die vielen dummen voreiligen Kommentare zwei ganz besonders dumme voreilige Kommentare: flankiert von vielen , vielen kritischen Beiträgen zu diesem Berufsstand, der streng genommen gar keiner ist.
"Journalistische Arbeit war sauber"
Nur Ralf Marder stellt sich gegen die Flut und verteidigte Elmar Theveßen, den Terrorexperten des ZDF. Elmar Theveßen selbst reichte eine Rechtfertigung nach, in der er betonte, die "journalistische Arbeit" sei "sauber" gewesen: die Quellen, Regierungs- und Sicherheitsbehörden, seien genannt worden und außerdem hätten wohl "viele" das ZDF für "verrückt" gehalten, hätte man am Freitag Abend über "Kreuzzügler" spekuliert.
Aus fernsehjournalistischer Sicht mag Theveßen sogar Recht haben, aber er sieht nicht, dass das Problem die Live-Schalte ist: die taugt nämlich nicht zur distanzierten Betrachtung. Die Experten sind nur das Bauernopfer einer direkten Berichterstattung, wie das Fernsehen sie in solchen Momenten zwingend vorsieht.
Kurz darauf wurde bekannt, dass Breivik in seinem Manifest bisweilen auch Henryk M. Broder zitiert hatte: für viele Anlass genug, nach der Verantwortung des „Brandstifters" (Jens Berger ) Broder und rechtspopulistischer Antiislam-Szene zu suchen. Andreas Kemper fasst es so zusammen: "Die 'Tabubrüche', die mit Begriffe wie 'Political Correctness' und 'Gutmenschentum' Stimmung gemacht haben, führen in der Praxis zu Massenmorden wie dem im Oslo." Ein naheliegender Gedanke, wenn man die von NPD-Blog.info gesammelten "Dokumente des Hasses" und die Aufrufe zur Gewalt gegen ideologische und religiöse Gegner liest - sie stammen ursprünglich vom radikalen Blog PI, das jenen norwegischen Foren entspricht, auf denen Breivik sich sein Manifest zusammenkopiert hat.
Im Stillen Sympathien für Breiviks Motive
Michael Seemann hingegen fragt sich, mit welchem Recht Leute wie Henryk M. Broder, Thilo Sarrazin und viele andere "in Sippenhaft für die Tat eines Einzelnen" genommen werden, und auch Ali Arbia warnt vor doppelten Standards: "Man darf nun nicht einfach auf die gegen den Islam hetzende Rechte zeigen und sie direkt für die Taten eines Mannes verantwortlich machen, der seine Taten mit ihren Ideen rechtfertigte."
Gleichzeitig aber müsse man die Organisationen und Autoren, die immer wieder rassistischem und islamophobem Gedankengut Vorschub leisten, nachdrücklich auf ihre Verantwortung hinweisen: "Sie müssen und sollen zwar das Recht haben ihren ausgrenzenden Diskurs zu führen, sie müssen aber auch mit den Konsequenzen konfrontiert werden und dem Klima, das sie damit schaffen." Es dürfte auch der einzige Weg sein, jene zu reintegrieren, die im Stillen Sympathien für die Motive Breiviks hegten, die Tat aber zutiefst verabscheuen.
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