: Bleibt die Sowjetunion beim Junktim?
■ Separatverhandlungen über Mittelstreckenraketen in Europa stehen auch nach dem Gipfel in den Sternen / UdSSR hält Aufgabe des SDI–Programms für unverzichtbar / Politbüromitglied Ligatschow: Potential für eigenes Weltraumprogramm vorhanden
Berlin (dpa / ap / taz) - Seperate Verhandlungen über Mittelstreckenraketen in Europa sind nicht möglich, erklärte der stellvertretende CDU/CSU Vorsitzende Volker Rühe nach seiner Rückkehr aus Bonn. Die Sowjetunion, so ist sein Eindruck, wird weiterhin bei ihrem Junktim bleiben: wenn die USA auf dem SDI– Projekt beharren, dann wollen die Sowjets in anderen Bereichen nicht nachgeben. Für die sowjetische Führung stehe nur das ganze Abrüstungspaket zur Verhandlung, sie wolle „alles oder nichts“. Trotz dieser klaren Aussage des außenpolitischen Experten der CDU halten sich Spekulationen, die davon ausgehen, daß doch noch separate Verhandlungen möglich sind. Die Äußerungen des sowjetischen Chefunterhändlers in Genf, Karpow, der am Dienstag durch die Andeutung möglicher separater Verhandlungen für Aufregung gesorgt hatte, sollen nach amerikanischer Auffassung in Genf geklärt werden. Denn für die USA wäre eine Null– Lösung bei den Mittelstreckenraketen in Europa jederzeit möglich, so der amerikanische Botschafter Richard Burt. Kurz vor der Abreise von Bundeskanzler Kohl nach Washington zeigte sich Außenminister Genscher optimistisch, daß es noch zu Verhandlungen über das Mittelstreckenproblem kommen könnte. Zwar werde die sowjetische Führung kein separates Abrüstungsabkommen unterzeichnen, doch könne die Hoffnung aufrechterhalten werden, daß die UdSSR unabhängig von SDI über andere Bereiche der Rüstung weiter verhandeln werde. Dies könnte für die strategischen Waffen und die Defensivsysteme genauso gelten wie für die chemischen Waffen und das konventionelle Gleichgewicht in Europa. Über die für die BRD einfachste Möglichkeit der Intervention, dem offiziellen Ausstieg aus dem SDI–Projekt, wurde in Bonn nichts bekannt. Angesichts des jüngsten amerikanischen Atomtests und der Erklärung von Präsident Reagan, SDI auf jeden Fall aufrechtzuerhalten, hat Politbüromitglied Jegor Ligatschow die USA scharf angegriffen. Bei der Amtseinführung des neuen Präsidenten der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, Juri Martschuk, erklärte Ligatschow am Donnerstag, es habe sich klar gezeigt, daß die Regierung in Washington gar keine Vereinbarung wolle, sondern auf militärische Überlegenheit aus sei. Darum sei es wichtiger denn je, daß die sowjetischen Wissenschaftler „aktiven Anteil am Kampf für den Frieden, an der Stärkung der Verteidigungsfähigkeit des Landes“ nähmen. Desweiteren erklärte Außenminister Schewardnadse am Freitag, die Sowjetunion sei „vollkommen in der Lage“, Weltraumwaffen herzustellen. Das Land verfüge über das dafür erforderliche wissenschaftliche, technische und materielle Potential. Im Namen der „Ethik“ sei die UdSSR aber vorerst noch nicht darauf aus, solche Waffen zu entwickeln. Auch für den Abrüstungsexperten Nikolai Tscherwow ist ein „Sternenkriegsprogramm“ der UdSSR derzeit undenkbar. Wir haben nicht die Absicht, vom Weltraum aus die USA und andere Länder zu bedrohen“.
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