piwik no script img

Bittere Pillen bezahlen?

■ DDR-Gesundheitsministerium erwägt Selbstbeteiligung für Medikamente / Noch kein Zeitpunkt für Mieterhöhungen / Möglichkeit von Eigentumswohnungen für DDR-Bürger geplant

Berlin (dpa/ap/afp) - Bisher war die Gesundheitsversorgung in der DDR rundum kostenlos. Doch nun müssen DDR-Bürger möglicherweise einen Teil der Kosten für Medikamente und medizinische Hilfsmittel selbst tragen. Gegenwärtig werde überlegt, welchen Anteil der Bürger daran künftig zu leisten habe, zitierte die DDR-CDU-Zeitung 'Neue Zeit‘ den stellvertretenden Gesundheitsminister Prof. Berndt Schirmer. Man denke daran, „daß der Bürger, zum Beispiel wenn er hochwertigen Zahnersatz, bestimmte Medikamente oder die Pille haben möchte, zum Teil selbst in die Tasche greifen müsse“. Es werde sicherlich mehr Medikamente als bisher ohne Rezept geben.

Schirmer bezeichnete die Zustände im Gesundheitswesen aufgrund der geringen finanziellen Mittel als „unbefriedigend“. In den vergangenen 26 Jahren habe die DDR zu den Ländern gehört, die den geringsten Zuwachs an Lebenserwartung hatten. Die Lebenserwartung betrage bei Männern etwa 70, bei Frauen um 76 Jahre.

Ein weiterer befürchteter Schritt zum Sozialabbau in der DDR, die starke Erhöhung der Wohnungsmieten auf Quadratmeterpreise von sieben bis 14 Mark, ist hingegen vom Ministerium der Finanzen und Preise dementiert worden. Der stellvertretende Finanzminister Wilfried Maier gab jedoch zu, daß darüber nachgedacht werde, „wie die stark subventionierten Mieten verändert werden können“. Auch der Bauminister der DDR, Gerhard Baumgärtel, hatte bereits angedeutet, daß die hochsubventionierten Mieten „korrigiert“ werden müßten, allerdings dementierte er Erhöhungen in naher Zukunft. Die Quadratmeterpreise betragen derzeit höchstens 1,80 Mark der DDR. Mietpreiserhöhungen sind in der DDR ein hochsensibles Thema, da ein Haushalt nur etwa drei Prozent des Einkommens für Mieten ausgibt, gegenüber etwa 20 Prozent in der BRD. Die Ost-'Berliner Zeitung‘ berichtete, sie habe viele empörte Anrufe erhalten, Rentner hätten sogar mit Selbstmord gedroht.

Im Zuge ihrer geplanten Wirtschaftsreform will die DDR jedoch die Möglichkeit von Eigentumswohnungen schaffen. Wirtschaftsministerin Christa Luft kündigte bei ihrem Bonn -Besuch den Verkauf von Grundstücken an DDR-Bürger, von Wohnungen an ihre Mieter und die Ausgabe von Aktien von DDR -Unternehmen an.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen