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Bislang größte Streiks gegen Gonzalez

■ Spanischer Ministerpräsident sieht sich mit den größten Streiks gegen seine Wirtschaftspolitik seit fünf Jahren konfrontiert / Am Wochenende waren bei Eisenbahn und Fluglinien der Osterverkehr lahmgelegt / Die überwiegend kommunistische Gewerkschaft „Comisiones Obreras“ ist sich aber über einen Generalstreik uneins

Aus Madrid Isabel Reth

Noch vor zwei Wochen wurde das spanische Fernsehen von der sozialistischen Regierung für die ausführliche Berichterstattung über Streiks, Studentendemonstrationen und Straßenkämpfe zurechtgewiesen. Die Massenmobilisierungen des vergangenen Wochenendes kann Felipe Gonzalez jedoch nicht mehr überhören: Die in den großen Betrieben und bei den öffentlichen Arbeitgebern am stärksten vertretene Gewerkschaft, die kommunistische „Comisiones Obrereas“, haben die größten landesweiten Streiks und Proteste unter der sozialistischen Regierung ausgelöst. Zum ersten Mal seit seinem Antritt 1982 gerät Gonzalez Truppe in die Defensive. Trotz der Warnung der Sozialisten an das spanische Fernsehen, „keine Katastrophenstimmung zu verbreiten“, werden die abendlichen Nachrichten von Straßen– und Eisenbahnblockaden, Streiks und Massenprotesten beherrscht. Das Maß war voll, als Wirtschaftsminister Solchaga die Arbeitgeber davor warnte, Lohnerhöhungen oberhalb der von der Regierung vorausgesehenen Inflationsrate von fünf Prozent zu bewilligen. Zum ersten Mal kündigten auch die Genossen der re gierungstreuen Gewerkschaft UGT Widerstand an. Nach den Verlusten bei den letzten Betriebsratswahlen muß sich die sozialistische Gewerkschaft wieder verstärkt um ihre Klientel bemühen. Widerstand von allen Seiten Die Arbeiter–Streiks und Demonstrationen fallen zusammen mit dem Protest verschiedenster Bevölkerungsgruppen gegen die Politik der spanischen Regierung: An Spaniens Universitäten wird der Lehrplan schon seit Monaten durch Streikversammlungen ersetzt. Auch in der vergangenen Woche protestierten die meisten Studenten/innen gegen die Universitätsreform. Im Hau–Ruck– Verfahren sollen Spaniens Lehrpläne an europäische Richtlininen angepaßt werden, ohne daß die Studenten/innen beteiligt werden. Der Protest richtet sich vor allem gegen zentrale Lehrpläne. Gefordert werden eine paritätische Studentenbeteiligung in den wichtigsten Gremien und die Einführung einer Bafög–ähnlichen Unterstützung für die untersten Einkommensgruppen. Txiki Benegas, die Nummer drei der Sozialistischen Partei, sieht hierin eine „skandalöse Diskriminierung der arbeitslosen Jugendlichen gegenüber den Studenten“. Derartige Stellungnahmen schüren nur das Feuer der Proteste: Für den 28. April hat die allgemeine Versammlung aller Universitäten einen Marsch auf Madrid beschlossen. Auch die Ärzte befinden sich weiterhin tageweise im Ausstand. Während es zunächst eher um Standesinteressen ging, richten sich die Angriffe mittlerweile gegen das gesamte Gesundheitswesen. Die von der Regierung angekündigte Reform des Gesundheitswesens hat nicht stattgefunden. Das Personal der Krankenhäuser ist restlos überfordert, die Patienten/innen müssen oft monatelange Wartezeiten in Kauf nehmen. Das Pflegepersonal, die Ambulanzen und die restlichen Angestellten der Krankenhäuser streikten in dieser Woche für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen, die Ärzte für die Sicherung von Arbeitsplätzen und Aufstiegsmöglichkeiten. Zu Ostern läuft nichts mehr Nicht nur der Protest in den Krankenhäusern betrifft die spanische Bevölkerung unmittelbar. Pünktlich am Wochenende wurde zu Beginn der Osterferien der gesamte Flug– und Bahnverkehr lahmgelegt. Auch ein Angebot der Fluggesellschaften Iberia und Aviaco, die Löhne um etwas mehr als die staatlich gebilligten fünf Prozent anzuheben, konnte die „Comisiones“ nicht vom Streik abbringen. Ihre Forderungen liegen zwischen sieben und acht Prozent. Auch die Autoindustrie, 80 Madrider Metro werden bestreikt. Der „soziale Pakt“ zwischen Regierung und Gewerkschaften zur Konsolidierung der spanischen Wirtschaft hatte in den letzten Jahren zu zurückhaltenden Lohnforderungen geführt. Die Gewerkschafter fühlen sich jedoch mittlerweile von der unternehmerfreundlichen Regierungspolitik betrogen. Aufgrund ihrer bescheidenen Forderungen sind die Reallöhne gesunken. Für 1987 hatte die Regierung eine „wirtschaftliche Erholung“ angekündigt. Viele Firmen konnten hohe Gewinne verzeichnen, ausländische Investoren legen ihr Kapital vermehrt in Spanien an. Angesichts dieser Situation empfinden die Gewerkschaften den Eingriff der Regierung in die Tarifauseinandersetzungen als Angriff auf die Tarifautonomie zugunsten der Arbeitgeber. Es geht in Spanien jedoch nicht nur um höhere Löhne. Die Ursache für die breite Streikbereitschaft liegt in der gesamten Regie rungspolitik der Sozialisten. Die bei den Wahlen 1982 angekündigte „sozialistische Wende“ bleibt auch nach der zweiten absoluten Mehrheit bei den Wahlen von 1986 aus. Die spanische Wirtschaft soll vor allem durch Rationalisierungen und Entlassungen saniert werden, gerade auch bei Firmen der staatlichen Holding INI. Massenhafter Protest richtet sich gegen einen arroganten und abgeschotteten Regierungsstil der Sozialisten, die den Kontakt zur Bevölkerungsmehrheit anscheinend verloren haben. Kampf gegen Arbeitslosigkeit Das kantabrische Städtchen Reinosa ist derweil zum Symbol für den Widerstand gegen die Wirtschaftspolitik der Regierung geworden. Nachdem in den letzten Jahren 900 Arbeitsplätze der Region durch Mechanisierung und Kapazitätsabbau verloren gegangen sind, sollen weitere 500 Arbeitsplätze der Industrie eingespart werden. Reinosa hat 12.000 Einwohner, davon sind 1.600 arbeitslos. Seit am 12. März der Leiter der Stahlbaubetriebe von Arbeitern eine Nacht lang festgehalten (angeblich „entführt“) und die Guardia Civil durch Demonstranten entwaffnet wurde, gehen die Aktionen ohne Unterbrechung weiter. Die Zugverbindung Santander–Madrid wird regelmäßig durch Schienenblockaden lahmgelegt. Mittlerweile ist die Stadt durch Anti–Terror–Kommandos der Guardia Civil und ihre Panzer belagert. Der Schnellzug „Talgo“ von Santander nach Madrid wird um Reinosa herum von der Guardia Civil eskortiert, um weitere Blockaden zu verhindern. Doch die Einwohner der kleinen Stadt sind von ihrer Forderung nach Rücknahme der Entlassungen und nach Unterstützung der Region durch die Zentralregierung nicht abzubringen. Fast täglich bringen die Fernseh–Nachrichten neue Bilder von Auseinandersetzungen zwischen der Bevölkerung Reinosas und der Guardia Civil. Obwohl die kommunistische Gewerkschaft mit einer Stimme Mehrheit einen Generalstreik gegen die Regierung abgelehnt hat, scheint diese die Kompromißbereitschaft nicht zu honorieren. Sie hüllt sich weiterhin in Schweigen und beharrt auf der „pädagogischen Vermittlung“ ihrer Wirtschaftspolitik. Die Haltung der Comisiones Obreras hierzu ist gespalten: Während die „Gerardistas“ um den Führer der traditionellen KP Spaniens (PCE) für kompromißlosen Widerstand eintreten, sind die Befürworter eines Paktes zwischen Regierung und Gewerkschaften zu einem Generalstreik nicht bereit.

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