: Bis die Gesichtshaut zappelt
■ Deran Sarafians Tödliche Geschwindigkeit ist ironisch, frauenfeindlich und friedliebend
Sot, sotsot, sotototototot! Dreiundzwanzig Buchstaben schießen aus der Leinwand: Tödliche Geschwindigkeit. Nach diesem Vorspann ist klar – jetzt kommt Action-Kino. Dazu gehört, daß die Geschwindigkeit während des Films zunehmend spitzere Höhepunkte erreicht. Das gelingt Regisseur Deran Sarafian auch ganz gut, die Tiefpunkte – auch Handlung genannt – sollten allerdings eher zur Entspannung genutzt werden.
Der Plot gibt sich a.c. (actional correct) – ironisch, frauenfeindlich und friedliebend, mit entsprechenden Peinlichkeiten wie gleichberechtigtem Hinternkneifen. Für den Witz ist Charlie Sheen zuständig, alias Ditch, ein nur mit dem Schwanz denkender Fallschirmspringer und ehemaliger Ringturner. Körperlich in die Breite gewachsen (der zweite Versuch nur ein Jahr nach seinem muskulösen Rambo-Auftritt in Hotshots), schielt Sheen glaubwürdig einen faulen Sack, dessen einzige Heldentaten darin bestehen, mitten in der Stadt vom Himmel zu fallen, Kindergeburtstage mit seinem lippenstiftbemalten Plastik-Hinterteil – „Kiss my ass!“ – zu sprengen und die Luftaufsichtsbehörde zu verärgern. Er qualifiziert sich damit ungewollt als der richtige Mann für Chris (Nastassja Kinski), als einer, der kopflos genug ist, um sich blind von ihr in den Kampf stoßen zu lassen – zu zweit gegen die russische Mafia.
Natürlich wird zum Schluß alles legal und happy beendet, professionell von der amerikanischen Polizei und dann, eher lächerlich, von einem russischen Staats- und Familienakt. Im Namen der hungrigen Kinder in Rußland versetzt Nastassja als stahlharte Ex-KGB-Agentin mit dem zierlichsten Körper und dem unwiderstehlichsten Lächeln Ditch einen Tritt in den Hintern. Sie fliegt mit ihm Fallschirm, fällt – und ist tot. Und er ist schuld. Aber alles Schein, in echt geht es um einen dreibeinigen Hund, die erwähnten Kinder und russisches Gold. Daß die UdSSR nach ihrer Auflösung nicht mal bloß in Rußland umgetauft wurde und die sowjetischen Schätze nicht eben gerecht unter den Ex-Genossen verteilt wurden – solche Politigkeiten müssen dabei dem Gerüst weichen, das erzählt, wie Not (Lebensgefahr) und Tugend (Chris) aus einem Loser (Ditch) einen Helden machen. Und auch dieses Gestell fängt nur die Stunts auf, die sich von einem Balken zum nächsten schwingen.
Das Paar wird davon mitgerissen, so daß sie kaum noch zum Küssen kommen. Ihnen zuliebe rücken Raum und Zeit näher zusammen und machen Übermenschliches zum Kinderspiel. Der nächtliche Fallschirmflug und das Seifenkistenrennen sind so schnell, daß die Gesichtshaut zappelt. Plötzlich – ein Feuerball, als ob gleich das Kino brennt. Hei, da fliegen sie! May Mergenthaler
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