Birte Müller Schwer mehrfach normal: Im Growshop mit Opa
Zu jedem Jahreswechsel nehme ich mir fest vor, mir nichts mehr vorzunehmen. Weil ich dabei nämlich (wie man am Vorsatz selber ja schon sieht) grundsätzlich scheitere. Selbstoptimierung ist nichts für mich und der Januar wäre ohnehin der blödeste Monat, um irgendeine zusätzliche Anstrengung zu leisten.
Die häufigsten guten Vorsätze der Deutschen für das Jahr 2025 sind laut einer Umfrage, mehr Sport zu treiben und sich besser zu ernähren. Nehme ich mir auch täglich vor – ab morgen. Danach finde ich mich auf der Liste der allgemein häufigsten Vorsätze allerdings nicht mehr wieder. Über die Hälfte der Befragten will in Zukunft mehr Geld sparen. Ich dagegen würde lieber lernen, nicht mehr so viel an das blöde Geld zu denken und großzügiger zu anderen und mir selbst zu sein.
43 Prozent der Menschen wollen angeblich mehr Zeit mit ihrer Familie verbringen. Auch da habe ich einen entgegengesetzten Wunsch: Ich würde gerne viel mehr Zeit für mich alleine haben. Auch abzunehmen, mehr Leistung im Job zu zeigen oder weniger Alkohol zu trinken, habe ich nicht vor und mit dem Rauchen kann ich nicht aufhören, weil ich nicht rauche. Tatsächlich habe ich mir aber vorgenommen, in Zukunft mehr Drogen zu konsumieren.
Birte Müller
ist Illustratorin, Autorin und Mutter von Willi (17) mit Downsyndrom und Olivia (15) mit Normal-syndrom. 2021 hat sie zusammen mit Yannick de la Pêche das Kinderbuch „Wie krank ist das denn?“ veröffentlicht.
Für diesen Zweck möchte ich meinen Vater überzeugen, für mich ein paar Cannabis- pflanzen anzubauen. Er ist ein absolutes Phänomen und kann wahrscheinlich bis auf einen Joint so ziemlich alles bauen. Er ist in der Lage, sich in jedes Thema einzuarbeiten (außer vielleicht in Mobilfunkverträge). Egal, was mein Papa macht, er macht es perfekt und großartig maßlos. Gerade hat er sich das Präparieren von Tierschädeln und das Gerben von Fellen beigebracht. Anlass: Es lag so ein schöner, toter Fuchs am Straßenrand. Jetzt plant er eine Sammlung.
Mein Vater pflanzt jedes Jahr Sonnenblumen, die ungelogen dreimal größer werden als meine, obwohl ich sie aus den identischen Kernen zur selben Zeit in den gleichen leeren Milchkartons vorziehe wie er. Wenn er es schafft, genauso übertrieben große Hanfpflanzen anzubauen, könnte ich meine neue Großzügigkeit wenigstens schon mal mit Gras beginnen. Allerdings hatte er meines Wissens nach in den über 80 Jahren seines Lebens mit Hanfprodukten bis jetzt lediglich als Dichtmaterial für Rohrverbindungen zu tun.
Letztes Jahr war ich gerade bei meinen Eltern, als mein Vater auf der Suche nach irgendwelchen Anzuchtbehältern, ohne dass es ihm klar gewesen wäre, auf die Internetseite eines Fachgeschäftes für Cannabisaufzucht geraten war. Es kam ihm zwar ziemlich beknackt vor, dass Blumentöpfe dort Grow-Buckets und Gewächshäuser Growboxes hießen, aber wahrscheinlich ist sogar er durch die ständige Belästigung mit Anglizismen wie Birdwatching oder Crunchtime (für die heiße Phase beim Fußball) langsam etwas abgestumpft. Erst als er auf die Produktpalette für den angeblich aktuellsten Trend, nämlich Outdoor Growing stieß, dachte er, dass die Welt jetzt endgültig verrückt geworden sei. Er rief laut: „Schaut mal, wie modern ich bin, ich mache Outdoor Growing“ und zeigte in den Garten. Als sich aufklärte, was für ein Laden das war, amüsierte er sich königlich.
Sollte ich es schaffen, meinen Papa auf das Marihuana-Thema anzusetzen, hoffe ich allerdings, dass er es nicht wieder mal komplett übertreibt und meine arme Mutter dann bald auch noch auf ein riesiges Gewächshaus neben dem 2.000-Liter-Regenwasserfass aus Steingut schauen muss, dass mein Vater auf unerfindliche Weise in den Garten geschafft hat. Dass er zum Pothead (Dauerkiffer) wird und dann ständig stoned (also breit) ist, fürchte ich aber nicht – er müsste sich dafür durch zu viele alberne Anglizismen lesen und würde bestimmt schon bei den King Size Slim Longpapers aussteigen. Und für ein Couchlock (also platt auf dem Sofa zu liegen) hätte er auch gar keine Zeit, obwohl das für meine Mutter bestimmt mal ganz angenehm wäre.
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