piwik no script img

Birte Müller Schwer mehrfach normalArbeit ist schön, macht aber viel Arbeit

Unser Sohn Willi besucht die 11. Klasse und seine Förderschul-Laufbahn geht dem Ende zu. Mit besonderem Interesse las ich deswegen die neue Ausgabe des Magazins Ohrenkusszum Thema Arbeiten. Die Texte darin sind ausschließlich von Menschen mit Down-Syndrom verfasst. Das widerspricht zwar dem Gleichstellungsprinzip Behinderter und Nichtbehinderter, aber bei anderen Zeitschriften dürfen Menschen mit Down-Syndrom ja in der Regel auch nicht mitschreiben.

Ich bekam den Eindruck, dass Arbeit im Leben der Autoren und Autorinnen einen extrem hohen Stellenwert hat – ohne sie zu Workaholics zu machen. Manch eine oder einer wäre lieber ein berühmtes Model oder würde Oldtimer schweißen, aber andere haben ihren Traumjob gefunden, zum Beispiel beim Putzen oder der Arbeit mit Kindern in einer Kita.

Dass Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung ihren Beruf wählen und auf dem ersten Arbeitsmarkt arbeiten, ist eine absolute Ausnahme (und nur möglich mit Eltern, die noch viel Kraft zum Kämpfen haben). Die meisten arbeiten einfach in einer Werkstatt (für behinderte Menschen) und mancher ist damit sehr zufrieden. Nur mit der Entlohnung kann dort niemand zufrieden sein, die ist entwürdigend! Die Werkstätten stehen deswegen in der Kritik – und natürlich, weil sie Sondereinrichtungen sind und somit im krassen Gegensatz zu dem Ziel stehen, Menschen mit Behinderung gleichberechtigten Zugang zu allen Lebensbereichen zu ermöglichen.

Körperbehinderte Menschen haben übrigens kein Recht auf einen Platz in einer Werkstatt. Sie haben stattdessen das Recht, oft arbeitslos zu sein. Größere Betriebe sind zwar grundsätzlich verpflichtet einen festgelegten Anteil ihrer Arbeitsplätze an Menschen mit Beeinträchtigungen zu vergeben, aber sie können sich – statt in Barrierefreiheit zu investieren – durch eine Art Ablass-Handel davon freikaufen.

Foto: privat

Birte Müller

ist Illustratorin, Autorin und Mutter von Willi (14) mit Downsyndrom und Olivia (13) mit Normal-syndrom. 2021 hat sie zusammen mit Yannick de la Pêche das Kinderbuch „Wie krank ist das denn?“ veröffentlicht.

Auch Willi wird höchstwahrscheinlich keinen Werkstattplatz bekommen. Nicht aufgrund mangelnder geistiger Behinderung, sondern weil er nicht in der Lage ist, „wenigstens ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung“ zu erbringen.

Willi selber scheint sich keine Fragen bezüglich seiner beruflichen Karriere zu stellen. Hört er das Wort „Beruf“ und hat seinen Sprechcomputer zur Hand, tippt er fröhlich auf die Taste „Müllmann“, weil er als solcher beim Fasching verkleidet war.

Ein so tiefbegabter und wartungsintensiver Mensch wie er kann keine Ansprüche an seinen Arbeitsplatz stellen. Er wird weder Müll- noch Dönermensch (was ihm sicher sehr gefallen würde). Vielmehr müssen wir dankbar sein, wenn wir eine nette Tagesförderstätte finden, die ihn nimmt. Sie wird seinen Tagen Struktur geben, er wird dort andere Menschen treffen und einer scheinbar stupiden Tätigkeiten nachgehen, die Willi – der einen großen Teil seiner Freizeit damit verbringt, Stifte in Schachteln zu legen – bestenfalls sogar Freude macht. Fertig.

Theoretisch sollte es das Ziel von Tagesförderung und Werkstatt sein, ihre Beschäftigten für den allgemeinen Arbeitsmarkt fit zu machen. Aber leider ist der Arbeitsmarkt nicht fit für sie. Wenn man wirklich wollte, könnte selbst für Willi ein Job außerhalb geschützter Räume gefunden werden. Er wäre zum Beispiel ein begeisterter und maximal verschwiegener Aktenvernichter. Mit einer Arbeitsassistenz, die dafür sorgt, dass er zum Schreddern keine zusätzlichen Schriftstücke oder Vorhänge heranholt, könnte Willi „richtige“ Arbeit leisten. Aber wirtschaftlich wäre das wohl nie.

Willi wäre zum Beispiel ein begeisterter und maximal verschwiegener Aktenvernichter

Es ist wirklich schade, denn von Menschen mit Besonderungen könnten wir Normalos viel lernen. Zum Beispiel von der Ohrenkuss-Autorin Johanna von Schönfeld, die schreibt: „Ich mache sehr gerne Feierabend. Feierabend ist Feierabend. Arbeit war Arbeit.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen